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Der blutrote Kolibri

Der blutrote Kolibri

Titel: Der blutrote Kolibri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo P. Lassak
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den Dreck des Festes aus den Köpfen der Menschen spülen.

NÄCHTLICHES TREFFEN
    Auf den Überschwang des Festes folgte der Katzenjammer. Mit den Girlanden und bunten Bändern verschwand auch die ausgelassene Stimmung aus den Gassen der Unterstadt. Die Menschen schlichen mit missmutigen Gesichtern herum. Nun würde es wieder dreizehn Monate bis zum nächsten Fest dauern, ließ sich in ihren sauertöpfischen Mienen lesen. Der Mann schimpfte mit seiner Frau, die Frau mit ihrem Kind, das Kind trat irgendein Tier, das ihm vor die Füße kam.
    Dieses Jahr wog das Ende des Haremsfestes noch schwerer, denn die sehnlichst erwartete Maiskarawane war noch immer nicht in Paititi eingetroffen. Die Speicher waren beinahe leer und die Einwohner litten Hunger.
    Nicht nur wegen ihrer knurrenden Mägen fanden sie nachts schwer in den Schlaf. Das Heulen der Albinas, was sonst bloß einmal im Monat zu hören war, schallte seit ein paar Tagen von der Dämmerung bis zum Morgengrauen aus dem Wald herüber. Das Wasser im Armenviertel schmeckte bitter und hatte die Farbe von hochgewürgter Galle. Die Wachposten waren verstärkt worden, nicht einmal mehr die Generäle wurden bei Dämmerung aus den Mauern Paititis herausgelassen. Selbst bei Tage blieb das Tor verriegelt.
    Die letzte Einwohnerin Paititis, die sich unbemerkt aus der Stadt geschlichen hatte, war Imelda, die Schweigende. Wie bei ihrem eigenen Haremsfest hatte sie sich auch in diesem Jahr im Wald versteckt, um bei den Feierlichkeiten nicht an ihr Unglück erinnert zu werden. Mit grausigen Folgen.
    Zwei Krieger auf Patrouille fanden sie mit dem Kopf nach unten hängend in einem Netz der Spinnenmenschen. Oder vielmehr das, was von der Schweigenden übrig war, denn Imeldas Innereien waren mitsamt den Knochen aus der Körperhülle gesaugt worden. Trotzdem lag auf ihrem Gesicht ein Lächeln, als habe sie nun endlich ihren Frieden gefunden. Man verscharrte sie im Armengrab bei den anderen toten Kastenlosen.
    Kapnu Singa versicherte an jenem Morgen, es gebe nicht den geringsten Anlass, sich Sorgen zu machen. Schon oft habe sich die Karawane verspätet, ihre Ankunft danach sei immer ein zusätzlicher Feiertag gewesen. Und: Wer innerhalb der Stadtmauern bleibe, müsse auch die Spinnenmenschen nicht fürchten. Denn hier könne der Inka für jedermanns Sicherheit garantieren.
    Dann bat er um Lebensmittelspenden für die Generäle, für Inti und für Tupac. Bitten hieß bei Kapnu Singa: Gebt, was ihr habt, oder meine Männer werden es gewaltsam aus euren Kammern holen und euch nicht einmal den Mais lassen.
    Animaya tat alles dafür, Wisya und Vinoc aus dem Weg zu gehen, was in einem gemeinsamen Haus ohne Türen beinahe unmöglich war. Sie stand auf, wenn die beiden bereits zum Morgenappell aufgebrochen waren, und kehrte immer erst kurz vor Beginn der Aufstehsperre in ihre Kammer zurück. Bis dahin hielt sie sich im Gehege auf oder trieb sich ziellos in den Vierteln der Oberstadt herum, obwohl der herzhafte Geruch gebratener Speisen sie fast wahnsinnig machte.
    Fragen brannten ihr auf der Zunge, die nur Wisya beantworten konnte – aber ihr konnte sie nicht unter die Augen treten. Das Haremsfest wirkte mit einem hämmernden Kopfschmerz nach, wie ihn Erwachsene nach dem Genuss von zu viel Bier beklagten. Die Erinnerungen daran waren flüchtig wie Nebel, als hätte der Tag, die Selektion auf dem Hügel, niemals stattgefunden. Nur der Verlust ihrer Freundin war eindeutig real und lastete wie ein Felsgestein auf ihrer Seele. Zwei Nächte hintereinander hatte Animaya den gleichen Traum. Sie wandelte in schönen Kleidern durch den Palast und alle verbeugten sich vor ihr. Ihr Mann und Pillpa gingen neben ihr.
    Pillpa, immer wieder Pillpa. Die von Lianen fast vollkommen überwucherten Mauern des Tempels waren beinahe von jeder Stelle Paititis aus zu sehen, sodass es Animaya unmöglich war, die Sorge um ihre beste Freundin auch nur einen Moment lang zu vergessen. Sie zerriss ihr fast das Herz. Ein paarmal hatte sie sich im Schatten unter eins der Fenster in der Tempelmauer gestellt und das geheime Zeichen ihres Vaters gepfiffen. Nie hatte sie eine Antwort erhalten.
    Sogar die Pflege der Lamaguas, sonst ein einziger Quell der Freude, erledigte Animaya nebenbei. Immer wieder hielt sie mitten in der Arbeit inne und sah überrascht auf ihre Hände, als wenn sie jemand anderem gehörten, so fremd

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