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Der blutrote Kolibri

Der blutrote Kolibri

Titel: Der blutrote Kolibri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo P. Lassak
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spöttisch: »Du bist viel zu vorlaut, Mäd chen, so etwas schätzt der Inka nicht. Nein, du kannst schon nach Hause gehen.«
    Die Menge schwieg einen Atemzug lang, dann lachten alle los.
    Animaya spürte den Satz wie eine Ohrfeige im Gesicht. Eine ungeheure Wut kochte in ihr hoch. So durfte niemand die Hoffnung ihrer besten Freundin zunichtemachen. Auch wenn sie insgeheim glücklich war, dass Pillpa dem Schicksal im Harem entging.
    In Pillpas Augen spiegelte sich ein letztes Mal die Sonne, bevor die gleißende Kugel hinter einer schwarzen Wolke verschwand. Alle auf dem Hügel mussten mit ansehen, wie Pillpas Herz in diesem Moment entzweisprang, wie das ganze Mädchen zerbrach.
    Â»Wenn Ihr mich nicht nehmt, verrate ich allen, wo Ihr gestern Nacht wart«, sagte Pillpa über das Flüstern der Menge hinweg. Ihre Stimme zitterte.
    Anaq kreischte bedrohlich. Einen Wimpernschlag lang entglitten auch seinem Herrn die Gesichtszüge, doch blitzschnell hatte er sich wieder im Griff. Seine Augen schossen Giftpfeile auf Pillpa ab.
    Â»Das ist kein großes Geheimnis«, antwortete er harsch. »Auf Patrouille innerhalb der Stadtmauern. Nachts pflege ich den Schlaf der anderen zu bewachen.«
    Er wollte bereits weitergehen, aber da verspielte Pillpa endgültig ihre Chance, noch mal heil aus der Sache herauszukommen. Zu tief schien der Stachel der Demütigung in ihrem Fleisch zu stecken.
    Â»Wie kommt es dann, dass Euer Lamagua Blut schwitzte?«, flüsterte sie deutlich hörbar. »Und dass hinter Euch an einer Kette …«
    Â»Genug!«, brüllte Kapnu Singa. Es war das lauteste Wort, das Animaya in ihrem Leben gehört hatte. Schnaubend vor Wut streckte er den Arm aus und zielte mit dem Zeigefinger auf Pillpas Mund. Ein schwarzer Blitz strömte aus der Kuppe und zurrte sich augenblicklich um Pillpas Hals. Animaya konnte einen Schrei nur schwer unterdrücken.
    Pillpa brach mitten im Satz ab. Ihr Kopf schwoll blau an, ihre Hände versuchten verzweifelt, die Kehle freizukämpfen. Aber ihre Finger konnten gegen den Strahl nichts ausrichten.
    Mit boshafter Miene hob Kapnu Singa den ausgestreckten Arm. Pillpa wurde wie eine wehrlose Puppe aus dem Pulk gehoben und schwebte auf ihn zu. Als sie nur noch zwei Schritte von dem obersten Befehlshaber entfernt war, senkte er den Arm wieder. Pillpa fiel vor ihm in den Staub. Röchelnd blieb sie liegen. Blut lief ihr aus der Nase.
    Â»Ich habe mich geirrt«, flötete Kapnu Singa mit süßlicher Stimme. »Nehmt auch diese mit. Sie wird Inti im Tempel dienen!«
    Ein General sprang vor und klemmte sich Pillpa wie ein Bündel Maispflanzen unter den Arm. Trotz ihrer Verletzungen begann Pillpa zu strampeln und um sich zu schlagen, doch aus dem eisernen Griff gab es kein Entkommen.
    Animaya wischte sich hastig die Tränen von den Wangen. Sie wäre ihrer Freundin so gerne zu Hilfe gesprungen, aber sie wusste nicht wie, ohne ihr eigenes Schicksal zu besiegeln.
    Wie von selbst begannen ihre Lippen zu pfeifen: dreimal kurz, einmal lang. Bedeutungslos für die, die ihr Geheimnis nicht kannten. Aber für Pillpa hoffentlich ein kleiner Trost.
    Tatsächlich hörte Pillpa einen Moment lang auf, sich gegen ihren Abtransport zu wehren. Und als dann noch ein blauer Schmetterling um ihr staubiges Haar zu tanzen begann, verzog sich ihr trauriger Mund zu einem leichten Lächeln.
    Da traf Animaya ein eisiger Blick. Kapnu Singa sah ihr mit seinen schwarzen Augen direkt ins Herz.
    Â»Du!«, befahl er und zeigte auf Animaya. Wie vom Donner gerührt, erstarrte sie. Vor Entsetzen war sie unfähig, sich zu bewegen. Und schon kämpfte sich ein weiterer General durch die enttäuschten Mädchen auf Animaya zu.
    Kurz bevor er sie erreicht hatte, ertönte das Pfeifen. Dreimal kurz, einmal lang. Wie ein Echo ihres eigenen Pfiffs. Animaya sah zu Boden. Im welken Laub zwischen ihren Zehen hockte der Kolibri. Er versuchte, in die zertrampelte Blüte zu schlüpfen. Ohne nachzudenken, ging Animaya in die Hocke und nahm den winzigen Vogel behutsam in die offene Hand. In diesem Moment blieb der General vor ihr stehen.
    Â»Komm, Konkubine!«, flüsterte er und zog Nawi am Arm mit sich.
    Animaya wagte nicht zu atmen. Der blutrote Vogel hatte sie vor dem Palast bewahrt. Ihr Wak’a, der Geistesführer.
    Was hatte er mit ihr vor?
    Dann öffnete sich der Himmel und der Regen rauschte nur so herab. Als wollte er

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