Der böse Geist vom Waisenhaus
jungen Frau erblühen.
Noch wirkte sie zerbrechlich, was wohl daran lag, daß ihr Herz nicht ganz in Ordnung
war.
„Du, Vleske! Ich habe eine
Kombination gesehen. Leggins und Shirt. Noch unter 200. Wahnsinn!“
„Du weißt doch, daß ich nicht
viel Geld habe.“
„Wieso? Du kriegst Stütze. Hier
wohnst du fast umsonst. Außerdem weiß ich, daß du bettelst. Am Arnulf-Platz
habe ich dich gesehen. Jawohl! Und Bettler verdienen klotzig.“
„Das war einmal. Heute sind es
zu viele. Dazu die Asylanten. Das bißchen Mitleid, was noch übrig ist, verteilt
sich auf zu viele Bedürftige. Betteln ist jetzt noch armseliger als früher.“
„Dann tu was. Daß du kein Geld
hast, ist dein Fehler. Nicht meiner. Geliebte dürfen anspruchsvoll sein. Das
habe ich gelesen. Und ich bin deine Geliebte. Du weißt ganz genau, was du mit
mir gemacht hast.“
„Katrin! So schlimm war das
nicht. Außerdem...“
„Schlimm genug. Wenn ich’s
sage, sitzt du wieder im Gefängnis.“
„Nicht so laut! Die Meier ist
am Fenster. Also gut! Ich kann dir 50 geben. Ja, 70. Mehr nicht.“
„Ph!“
„Katrin! Was du machst, ist
Erpressung.“
„Und was machst du? Soll ich’s
meinen Eltern erzählen? Du hast mir gedroht, damit ich nichts sage.“
„Katrin! Ich...“
„Hör auf, Vleske! Ich will die
200. Und nächste Woche wieder. Und überhaupt jeden Monat. Kannst ja endlich mal
arbeiten. Kellner werden gesucht. Aber ich glaube, das schaffst du nicht. Ich
glaube, ich muß dich verraten.“
Sie rauschte hinaus. Die Tür
warf sie hinter sich zu.
Er atmete schwer. Plötzlich
schien ihn die Angst zu überwältigen. Diese Göre hatte es ihm leicht gemacht.
Sie führte sich auf wie 16 oder 17. Wie alt sie wirklich war, hatte er erst
später erfahren. Dennoch wußte er: Das Vertrauen, das Breukhoffs — ihre Eltern
— ihm entgegenbrachten, hatte er schmählich enttäuscht.
Und wie sie ihm vertrauten! Er
durfte ihre Küche benutzen, durfte sich dort warme Mahlzeiten bereiten.
Und jetzt dies!
Katrin würde ihn verraten. Er
hatte den plötzlichen Widerwillen in ihren Augen gesehen.
Also Aufdeckung! Als halte das
Schicksal nicht genug für ihn bereit. Aufdeckung! Das bedeutete diesmal eine
noch viel härtere Strafe.
Er dachte an Gudrun, seine
Frau. Nein, das war sie nicht mehr. Sie hatte sich scheiden lassen. Und Tobias,
sein Sohn, der inzwischen acht war und...
Rasch schob er den Gedanken
beiseite. Die Erinnerung bedrückte zu sehr.
„Nicht in den Knast!“ murmelte
er. „Nicht wieder! Das halte ich nicht aus! Nie wieder! Eher springe ich vom
Turm. Eher...“
Er stockte.
Wieso ich? dachte er. Mich
benutzt das Schicksal als Fußmatte. An mir putzt sich das Leben die Schuhe ab.
Habe ich kein Anrecht auf Freiheit? Ich will ja nichts Böses. Aber dieses
kleine Miststück zwingt mich dazu. Ja, sie zwingt mich.
So belog er sich selbst. So
zimmerte er sich eine Rechtfertigung für das Verbrechen — nämlich dafür, Katrin
zu töten.
Das durfte nicht offensichtlich
sein. Das mußte aussehen wie ein Unfall. Besser noch wie die Folge von
Krankheit. Katrin hatte ein schwaches Herz. Na, also!
Er schlüpfte in seinen Parka,
ein hagerer, großer Kerl mit nach außen gestellten Füßen.
Im Hof begegnete er Katrin, die
ihren roten Regenmantel trug und zu einer Freundin wollte.
Eisiger Blick aus grünen Augen
und ein lautloses Ph! auf den Lippen, keine Spur mehr von Zuneigung, nur
Verachtung.
Aber Vleske lächelte breit wie
zerfließender Honig.
„Morgen gebe ich dir die 200,
Katrin. Morgen habe ich’s zusammen. Kriegst auch künftig alles von mir, was du
willst.“
„Vergiß das nicht, Vleske!
Sonst fliegst du auf.“
Sie lief nach rechts die Straße
hinunter, er hielt sich links, wo in der Nähe der Friedhof war — einer von
vielen, zugebaut mit Grabmälern und Kreuzen.
Der Friedhof war menschenleer.
Vleske wußte: Angepflanzt werden sie auf jedem Gottesacker und in vielen Parks,
jene immergrünen Sträucher — Ziersträucher — , die der Lateiner Taxus baccata
nennt. Prächtige Nadeln. Und nußartiger, tödlicher Samen.
Vleske mußte nicht lange
suchen. Dort an der Mauer — die Sträucher. Er sammelte die roten,
becherförmigen Scheinbeeren und schälte den Samen heraus.
Nach Hause!
Wegen der Küchenbenutzung besaß
er einen Schlüssel zur Wohnung der Breukhoffs.
In der Küche nahm er Katrins
Müsli-Dose aus dem Schrank.
Müsli! Es gehörte zu Katrins
Gesundheits-Programm. Sie mochte es, aß die bunte Mischung aus
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