Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
Immerhin steht die Staatsanwaltschaft vor dem Problem, dass
sie sich dafür rechtfertigen muss, die Ermittlungen eingeleitet zu haben,
die schließlich zum Sturz eines Staatsoberhaupts geführt haben.
In ihrer Zwischenbilanz stellt die Staatsanwaltschaft Hannover
schlussendlich fest, dass Wulff wegen des Leo-Baeck-Preisgeldes kein
Vorwurf zu machen ist. Auch die Flitterwochen der Wulffs in Italien,
im März 2008 im Haus von Wolf-Dieter Baumgartl, seinerzeit Aufsichtsratschef des Talanx-Versicherungskonzerns, werden von den Ermittlern nicht beanstandet. Die Wulffs hätten die Flugkosten selbst
getragen und einen langjährigen Bekannten in dessen Räumlichkeiten
besucht, stellt die Staatsanwaltschaft fest. Dass Niedersachsen ein halbes Jahr vorher in einer Bundesratssitzung zugunsten der Versicherungswirtschaft abgestimmt hat, ist für die Staatsanwaltschaft kein
Hinweis auf eine mögliche Gegenleistung, da das Abstimmungsverhalten „standortpolitischen Entscheidungen und Vorstellungen des
damaligen Ministerpräsidenten Wulff in anderen Fällen" entsprochen
habe. Als dieses Buch entsteht, sind ausschließlich die Beziehungen
zwischen Wulff und dem Filmunternehmer David Groenewold noch
Gegenstand der Ermittlungen. Dabei geht es um zwei Ferienaufenthalte auf Sylt in den Jahren 2007 und 2008 und um einen Hotelaufenthalt beim Münchner Oktoberfest im Jahre 2008, bei denen unklar
ist, ob Wulff die Kosten an Groenewold erstattet hat oder nicht. Entscheidend beim Vorwurf der Vorteilsnahme und Vorteilsgewährung
ist dabei auch, ob es gegebenenfalls eine Gegenleistung des Ministerpräsidenten gegeben hat. Bei den Hotel- und Ferienkosten geht es
unterm Strich um eine Summe von insgesamt rund 2.700 Euro. Warum die Staatsanwaltschaft weitere Monate braucht, um das Verfahren
abzuschließen, bleibt ihr Geheimnis.
Grundsätzlich ist die Staatsanwaltschaft in Hannover in einer denkbar schwierigen Lage. Zunächst ist der Druck enorm, Ermittlungen
gegen Wulff aufzunehmen, die Folgen sind jedoch beträchtlich. Kommt es am Ende nicht zu einer Anklage, muss sich die Staatsanwaltschaft dafür rechtfertigen, dass sie den Rücktritt des Staatsoberhaupts billigend in Kauf genommen hat. Die Staatsanwaltschaft übt
damit einen völlig unverhältnismäßigen Einfluss aus und zwar nur,
weil es keine politische Lösung für das Problem gibt. Während die
Politik die Hände hebt, da sie den Bundespräsidenten ohnehin nicht
aus dem Amt entfernen kann, blickt die Öffentlichkeit auf eine Staatsanwaltschaft, die letztlich darauf angewiesen ist, dass die Medien genügend belastendes Material gegen Wulff ausgraben - für das sie im
Gegenzug erwarten, dass der Staatsanwalt auch ein Verfahren einleitet.
Man mag die Entscheidung der Staatsanwaltschaft als Indiz dafür
sehen, dass der Rechtsstaat funktioniert. Tatsächlich aber schreit die
Präsidentenkrise nach einer politischen Lösung. Der ehemalige Bundespräsident und Präsident des Bundesverfassungsgerichts Roman
Herzog wirft nach dem Rücktritt von Christian Wulff in einem Interview mit der Heilbronner Stimme die Frage auf, ob die Verfassung
nicht geändert werden müsse. Während bei einem schweren Verbrechen des Staatsoberhaupts das Bundesverfassungsgericht entscheiden
müsse, ob der Bundespräsident des Amtes enthoben wird, reiche es bei
einem „vergleichsweise leichten Vergehen" aus, wenn „ein Staatsanwalt
aus Hannover" komme. Herzog plädiert dafür, dass die Bundesversammlung, die den Bundespräsidenten wählt, diesen auch wieder abwählen können müsse. Vermutlich hätte allein die Option auf ein
solches Verfahren, den Bundespräsidenten aus dem Amt wählen zu
können, die Politik dazu gezwungen, sich eindeutig zu positionieren,
ob sie Wulffs Rücktritt will oder nicht. Für die Klärung der Machtfrage wäre dann die Politik zuständig gewesen und nicht die Medien.
wei Tage nach dem Rücktritt von Christian Wulff, am Sonntag,
dem 19. Februar 2012, sitzen die Spitzen der schwarz-gelben
Koalition im Kanzleramt. Die Suche nach einem Nachfolger
hat begonnen, das Thema soll schnell abgeräumt werden. SPD und
Grüne verständigen sich bereits am Tag zuvor auf Joachim Gauck, was
allerdings kein Selbstläufer ist. Tatsächlich ist Gauck zunächst nicht
Favorit bei den Grünen, dort werden eher Namen wie Katrin GöringEckardt gehandelt, auch der ehemalige Bundesumweltminister Klaus
Töpfer, CDU, erscheint als akzeptable Lösung für einen
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