Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
Zapfenstreich und Ehrensold wird alles gegen Wulff verwendet,
was sich anbietet." Der Publizist Ulf Poschardt stellt in einem Artikel
bei Welt Online Ende Juli 2012 fest, in der Debatte um Wulff und Karl-Theodor zu Guttenberg überrasche „die Maßlosigkeit der Abrechnung, der Wunsch nach einer vollständigen Zerstörung der Person,
nach der finalen Demontage letzter Integrität, dem Vernichten von
Restbeständen der Würde". Wulff sehe man die Folgen dieses „hypertrophen Idealismus" an: „Er ist ein Gezeichneter, wirkt um Jahre gealtert, hohlwangig, ein Schatten seines damals allzu jovialen Selbst."
Die Justiz
rei Staatsanwaltschaften beschäftigen sich im Laufe der Präsidentenkrise mit den Vorwürfen, die gegen Wulff erhoben
werden. In Berlin prüft die Staatsanwaltschaft in der ersten
Januarhälfte den Vorwurf der Nötigung, nachdem bekannt wird, dass
der Bundespräsident den Chefredakteur der Bild-Zeitung angerufen
hatte. Außerdem wird die Berliner Staatsanwaltschaft in der zweiten
Januarhälfte erneut aktiv, nachdem Vorwürfe rund um einen angeblich zu Sonderkonditionen bezogenen Audi Q3 in den Medien erhoben
werden. Nachdem die Immunität des Bundespräsidenten mit seinem
Rücktritt aufgehoben ist, leitet Berlin ein Ermittlungsverfahren ein,
das jedoch am 1. Juni 2012 eingestellt wird. Die Staatsanwaltschaft
sieht keine Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten. Zwar stellt die
Staatsanwaltschaft fest, dass Vorteile gewährt worden seien, „das Geschehen teilweise auch intransparent" gewesen sei, die Firmen am Ende
aber vor allem die Wulffs als Werbeträger hätten nutzen wollen.
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart prüft die Kredite, die Wulff bei
der BW-Bank zur Finanzierung seines Hauses bekommen hat: vor
allem das Geldmarktdarlehen, aber auch das Zustandekommen des
anschließenden langfristigen Darlehens. Am 18. Januar gibt die
Staatsanwaltschaft bekannt, dass sie keinen Anfangsverdacht sieht,
um ein Ermittlungsverfahren gegen die BW-Bank oder Wulff einzuleiten. Der Vorwurf, dass Wulff besonders günstige Konditionen bekommen habe, spielt für die Staatsanwaltschaft keine Rolle, denn es sei „die wirtschaftliche Entscheidung eines Kreditinstituts, zu welchen Bedingungen es ein Darlehen gewährt". Es gebe aber keine Anzeichen dafür, dass die Entscheidung der Bank unvertretbar gewesen
sei. Eine Woche später gibt die Landesbank Baden-Württemberg
bekannt, dass „die Kreditvergabe gemäß den internen und banküblichen Regeln erfolgte".
Politische Folgen hat nur das Einschreiten der Staatsanwaltschaft
Hannover, die sich am 16. Februar 2012 entschließt, nach wochenlangem öffentlichen Druck, nach über 100 Strafanzeigen gegen Wulff,
die aus der Mitte der Bevölkerung kamen, den entscheidenden Schritt
zu gehen: Sie beantragt beim Immunitätsausschuss des Deutschen
Bundestages, die Immunität des Bundespräsidenten aufzuheben. Erst
wenn der Bundestag dem nachkommt, kann die Staatsanwaltschaft
Ermittlungen gegen das Staatsoberhaupt aufnehmen. „Nach umfassender Prüfung neuer Unterlagen und der Auswertung weiterer Medienberichte sieht die Staatsanwaltschaft Hannover nunmehr zureichende tatsächliche Anhaltspunkte (g 152 Abs. 2 StPO) und somit
einen Anfangsverdacht wegen Vorteilsannahme bzw. Vorteilsgewährung", heißt es in der knappen Presseerklärung aus Hannover. Es besteht zu diesem Zeitpunkt kein Zweifel, dass der Bundestag den Weg
freimachen wird. Es besteht allerdings auch kein Zweifel, dass dieser
Schritt zum Rücktritt des Bundespräsidenten führen wird. Die Staatsanwaltschaft ist sich der Tragweite ihrer Entscheidung zweifellos bewusst. Der Vorgang ist ein absolutes Novum in der Geschichte der
Bundesrepublik. Gleichzeitig beginnt bereits am Abend des 16. Februar eine lange Reihe peinlicher Indiskretionen aus dem Verfahren.
Noch bevor der Antrag auf Aufhebung der Immunität des Bundespräsidenten im Bellevue eintrifft, verbreiten die ersten Medien die Nachricht per Eilmeldung. In den anschließenden Monaten sickern unaufhörlich Informationen aus dem Ermittlungsverfahren in die Medien.
Immer wieder gelangen Einzelheiten an die Öffentlichkeit, so zum
Beispiel die Nachricht, dass Wulff das Preisgeld für den Leo-Baeck-Preis
des Zentralrats der Juden monatelang auf seinem Privatkonto liegen ließ,
bevor er es an ein Krankenhaus in Israel spendete. Als Christian Wulff von der Staatsanwaltschaft vernommen wird, gelangen die Aussagen
über seinen
Weitere Kostenlose Bücher