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Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien

Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien

Titel: Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Götschenberg
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Skandalisierung
der Vorwürfe, mit denen Christian Wulff ab Mitte Dezember 2011
konfrontiert ist, hält Pörksen grundsätzlich für legitim. Demgegenüber
beklagt der Skandalforscher Kepplinger in der Causa Wulff das „unglaubliche Missverhältnis zwischen Anlass und Größe" der Skandalisierung. In seinem Buch „Die Mechanismen der Skandalisierung"
(Olzog Verlag, 2012) vertritt Kepplinger eine wesentlich skeptischere
Haltung gegenüber der wachsenden Tendenz zur Skandalisierung. So
beklagt er generell den Verlust an Wahrheit im Zuge von Skandalisierungen: Bestünden am Anfang noch unterschiedliche Sichtweisen, so
bildeten sich im Zuge der Skandalisierung feste Schemata heraus, denen sich alle unterordnen (müssten). „Sind die Schemata einmal etabliert, erscheinen alle Fakten und Interpretationen, die ihnen widersprechen, als falsch oder irreführend, als Übertreibung oder Untertreibung." Dem Druck, sich der einen Sichtweise anzuschließen, könne
man sich dabei nur schwer entziehen: „Der Skandal ist die Zeit der
Empörung. Nüchterne Skepsis gilt nicht als Tugend, sondern als Uneinsichtigkeit. Wer sich dem Protest nicht anschließt oder wenigstens
Sympathie dafür bekundet, wird isoliert und abgestraft."

    Dabei ist charakteristisch, dass die in den Medien vorherrschende
Wahrnehmung von einigen wenigen Leitmedien vorgegeben wird.
Diese sind an erster Stelle der Spiegel, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Süddeutsche Zeitung oder auch der Focus und natürlich die
Bild-Zeitung, die bereits seit einigen Jahren großen Wert darauf legt,
sich vom Image des Boulevardblatts zu lösen und als Recherche- und Leitmedium neben den seriösen journalistischen Medien zu etablieren.
Bei Christian Wulff kann die Bild-Zeitung für sich beanspruchen, die
Krise ins Rollen gebracht zu haben, was ihr mit der Verleihung des
prestigeträchtigen Henri-Nannen-Journalistenpreises quasi bestätigt
worden ist. In der Causa Wulff ist es neben der Bild-Zeitung vor allem
der Stern, der die zentralen Vorwürfe gegen Wulff recherchiert. Wie
meist bei Skandalen gab es im Fall Wulff nur eine kleine Zahl von
Journalisten, die die relevanten Vorwürfe tatsächlich „ausgegraben"
haben, während die große Masse der anderen Berichterstatter keine
eigenen Recherchen betrieb, sondern das Material nur anreicherte,
beispielsweise durch das Einholen von Meinungen. Typisch bei Skandalisierungen ist, betont der Mainzer Medienwissenschaftler Kepplinger, dass es nur einen kleinen Kreis von „Wortführern" gibt, dem sich
eine große Zahl von „Mitläufern" und „Chronisten" anschließt.

    Das Publikum verfolgt das Treiben der Medien durchaus skeptisch.
„Die allgemeine Skandalsucht, diese moderne Form der Wertedebatte",
stellt der Tübinger Medienwissenschaftler Pörksen fest, habe „keine
besonders gute Presse. Man nimmt sie eher angewidert zur Kenntnis."
Die Skandalisierung der Person Christian Wulff ist dabei ein sehr anschauliches Beispiel dafür, wie sehr die Wahrnehmung der Medien und
die des Publikums auseinanderklaffen können. Selbst auf dem Höhepunkt der Krise blieb die Bevölkerung in zwei nahezu gleich große
Lager gespalten: in diejenigen, die meinten, Wulff müsse zurücktreten,
und damit der von den Medien nahezu einheitlich vorgegebenen Linie
folgten, und die anderen, die nicht dieser Ansicht waren. Im Fall Wulff
ging die wachsende Tendenz zur Skandalisierung Hand in Hand mit
einer großen Portion Misstrauen der Macht der Medien gegenüber.
Eine Umfrage des Allensbach-Instituts Anfang Februar 2012, also zwei
Wochen vor dem Rücktritt Wulffs, kommt zu einem eindeutigen Befund. Auf die Frage „Wie bewerten Sie die Berichterstattung über
Christian Wulff?" geben 39 Prozent der Befragten an, diese „angemessen" zu finden, während deutlich mehr, nämlich 48 Prozent, der Ansicht sind, sie sei „übertrieben". In dieser Schere zwischen Medien- und
Publikumsempörung sieht Pörksen ein „Zeitzeichen für die neuen Empörungsverhältnisse", das bei vielen Skandalen der jüngeren Zeit
zu beobachten sei: „Bei Guttenberg, Sarrazin und eben bei Wulff- nur
im Unterschied zu früher weiß man heute davon. Die Spaltung der
Öffentlichkeit ist manifest geworden."

    Das Publikum wendet sich in der Regel schnell gelangweilt ab.
Meist erlischt das Interesse nach wenigen Wochen. Charakteristisch
ist, dass anschließend keine Beschäftigung mehr damit stattfindet, die
Bereitschaft zur kritischen

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