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Entfernung.

Entfernung.

Titel: Entfernung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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    Was sollte sie tun. Sie stand auf der Schwelle der Wohnungstür. Zwischen den beiden Türflügeln. Was sollte sie tun. Er hatte seinen Wohnungsschlüssel vergessen. Sie hatte die äußere Wohnungstür aufgemacht. Hatte nach ihrem Schlüssel gegriffen. Hatte ihren Schlüssel aus der Silberschale auf der Biedermeier Eckkonsole genommen. Wollte hinausgehen. Die innere Tür hinter sich zumachen. Und hatte seinen Schlüssel liegen gesehen. Silbern gegen den silbernen Boden der Schale. Er hatte den Schlüssel liegen gelassen. Wieder. Schon wieder. Sie stand. Lehnte sich gegen den Türstock. Das Holz kühl durch das Leinen der Jacke. Der Rucksack war über die Schulter gerutscht. Der Riemen. Ein tiefer Schnitt in den Oberarm. Sie konnte ins Café »Eiles« gehen. Sie konnte ihm den Schlüssel bringen. Ihm den Schlüssel nachtragen. Sie konnte an seinen Tisch treten. Den Schlüssel auf den Marmortisch legen. Sie konnte sich zu ihm setzen. Sie konnte sich eine der auf der Sitzbank gestapelten Zeitungen nehmen. Die Süddeutsche. Die Neue Zürcher. Die Herald Tribune. Sie konnte einen kleinen Schwarzen bestellen. Zeitunglesen. Und mit ihm wieder nach Hause. Sie konnte ihm den Schlüssel bringen und gleich wieder gehen. Den Schlüssel auf den Marmortisch. Ihm einen Kuss auf die Wange. »Ich fahre jetzt. Pass auf dich auf.« Und weg. Zum Auto. Zum Flughafen. Und weg. Warum ließ er den Schlüssel liegen. War das schon länger so. War das seit kurzem. Diese Vergesslichkeit. Sie stand da. Auf dem Gang. Die Sonne hatte die riesigen Fenster erreicht. Mittag. Ein schmaler Streifen Sonnenlicht fiel unter den Fenstern auf den Boden. Ließ die gelblichen Specksteinplatten weiß aus sehen. Das Licht warf wässrige Wellen an die Wand links. Es war noch nicht heiß. Es war gerade noch nicht heiß. Die Hitze erst noch flirrend. Beweglich. Bis Abend fest. Bis zum Abend der Gang ein Hitzetunnel wurde. Im Sommer. Im Stiegenhaus dann ein Luftzug und im Hauseingang unten war es wieder kalt. Zwischen dem Tor zum Hof und dem Haustor. Die Luft noch vom Winter und schwer. In der Wohnung. Sie schaute zurück. Die Zimmer dämmrig. Alle Türen zum Balkon offen. Der Blick in die Linden. Die Baumkronen. Ein Gewirr von Grün. Die Sonnenstrahlen in das Grün und verschwanden und in zackigen Flecken auf den Boden des Balkons fielen. Schwimmende zittrige Flecken auf dem Holzrost. Sie konnte auch auf den Balkon gehen. Sie konnte in ihr Zimmer gehen. Den Rucksack auf dem Bett abstellen. Die Jacke aufhängen. Auf den Balkon gehen. Sich auf ihren Liegestuhl legen. Und ein Buch. Oder Musik. Oder nur liegen. Im leisen Rascheln der Blätter liegen. In der mittäglichen Stille des Hofs. Vor den Stadtgeräuschen. Sie konnte sich ausstrecken und sich weit weg fühlen. Von den Stadtgeräuschen. Und sie die Einzige sein würde. Niemand sonst auf einem der Balkone. Alle anderen im Urlaub. Im Job. Beschäftigt. Sie. Sie konnte lesen. Oder Musik hören. Sie konnte einen kostbaren Augenblick an den anderen reihen. Einen kostbaren Augenblick an den anderen fügen. Und auf den Vater warten. Ihm aufmachen, wenn er klingelte. Aber er würde mit der Sydler kommen. Die Sydler würde ihm mit dem Ersatzschlüssel aufsperren. Er war gar nicht vergesslich. Er wollte die Sydler sehen. Das Ganze war eine Ausrede, die Sydler in die Wohnung zu holen. Und wahrscheinlich war das ihretwegen. Wahrscheinlich war das seine taktvolle Art. Er wollte ihr nicht sagen, dass er die Sydler sehen wollte. Sah. Dass er die Sydler sah. Und dass die Sydler und er. Sie stieß sich vom Türrahmen ab. Griff nach dem Schlüssel. Sie musste den Schlüssel vom Boden der Schale ablösen. Die Fingernägel über das kalte Metall. Sie erschauerte. Sie musste die Schulterblätter nach oben ziehen. Gegen den Schauer. Sie schloss die weiße Innentür. Trat auf den Gang. Schob die Außentür zu. Versperrte das Türschloss und das Balkenschloss. Sie rüttelte an der Klinke. Vergewisserte sich. Wohnungseinbrüche hatten ein neues Hoch erreicht. In diesem Sommer. In Wien. Sie sah die Tür an. Dr. Karl Brechthold. Türschild. Briefschlitz. Drehklingel. Türknauf. Das Messing war stumpf und schartig. Die Tür abgewetzt. Der braune Anstrich matt und zerkratzt. Alle anderen im Haus hatten Alarmanlagen installiert. Wenn die Tür so arm aussähe. Das würde die Diebe decouragieren. Meinte der Vater. Das Balkenschloss hatte die Mutter einbauen lassen. Aber ein einziger Schlüssel musste alle Schlösser sperren. Der Vater

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