Der Boss und die sexy Luegnerin
gekommen?“
Roark ignorierte den Sarkasmus und zuckte nur mit den Schultern. Er ließ den Blick über die Fußgänger auf der Fifth Avenue schweifen. Der Sommer war da, und die Sonne schien sichergehen zu wollen, dass das auch ja alle bemerkten. Der Himmel war strahlend blau, die Hitze geradezu drückend, und der absolute Verkaufsschlager an den Straßenkiosken war eiskaltes Wasser.
Selbst unter dem großen Sonnenschirm spürte Vance die Hitze noch. Trotzdem hatte er darauf bestanden, mit seinem Bruder hier draußen zu essen, wo sie nicht belauscht werden konnten.
„Erst gestern habe ich Charlie an meinem Schreibtisch überrascht. Sie ist so bleich geworden, als würde sie gleich umfallen.“
Roark grinste. „Das muss gar nichts heißen. Du kannst Furcht einflößend sein.“
Vance runzelte die Stirn. Das stimmte doch nicht. Oder? Nun ja, wenn er so darüber nachdachte – die meisten Leute wichen vor ihm zurück, wenn er einen Raum betrat. War es also nur das? War Charlie einfach nur in seiner Gegenwart nervös?
„Nein, das ist es nicht.“ Vance schüttelte den Kopf. „Sie hat nicht ängstlich gewirkt, sondern schuldig.“
Roark drehte sich wieder zu ihm um und schob die Sonnenbrille hoch. „Wenn du wirklich wissen willst, was los ist, dann kitzel es aus ihr heraus. Verführ sie.“
„Wie bitte?“
„Ein nettes Abendessen. Ein kleiner Tanz. Ein bisschen Wein …“ Er zuckte wieder mit den Schultern. „Der schnellste Weg, der Sache auf den Grund zu gehen.“
„Und unmoralisch.“
„Genauso wie den Arbeitgeber ausspionieren.“
„Ich kann kein Date mit meiner Assistentin haben.“
„Dagegen gibt es keine Regeln.“
„Aber es gibt Anzeigen wegen sexueller Belästigung.“
Roark lachte. „Ich habe nicht gesagt, dass du mit ihr schlafen sollst.“
Nein, aber zu genau dieser Vorstellung waren seine Gedanken abgewandert, ganz ohne Hilfe. Seit Tagen dachte er nun über Charlie Potter nach, und dabei ging es nicht nur um Verdachtsmomente.
Ihre Haare waren für ihn fast schon zu einer Besessenheit geworden. Er wollte durch diese blonden Locken streichen und sie kühl an seiner Haut spüren. Und ihr Duft – leicht und blumig schien er in der Luft zu hängen, auch wenn sie gar nicht im Büro war. Der Klang ihrer Stimme – und ihre Beine in den Schuhen mit diesen unglaublich hohen Absätzen, die sie immer trug … Ja, sie beschäftigte ihn viel zu sehr in letzter Zeit.
„Und wenn ich herausfinde, dass sie schuldig ist?“, fragte Vance.
„Dann feuerst du sie. Oder – du benutzt sie, um Rothschild mit falschen Informationen zu füttern.“
„Benutzen und wegwerfen – das meinst du doch damit, oder?“ Auch wenn er nicht in der Waverly-Familie aufgewachsen war, schien Roark deren Feinfühligkeit zu haben. Vielleicht lag das im Blut. Zum Teufel, nachdem er den Verlust von Frau und Tochter erst einmal überwunden hatte, war ihr eigener Vater von einer Frau zur nächsten gehüpft. Sein Herz hatte er kein zweites Mal aufs Spiel gesetzt, und so war Vance in einem Liebesvakuum aufgewachsen. Und er hatte von seinem Vorbild gelernt.
Roark war mit einer alleinerziehenden Mutter aufgewachsen, also war es bei ihm vielleicht ähnlich gewesen. Wodurch wir nur noch mehr Gemeinsamkeiten haben, dachte Vance.
„Wenn sie schuldig ist, schuldest du ihr gar nichts“, sagte Roark. „Ist sie unschuldig, musst du auch nichts unternehmen. Eine Win-win-Situation.“
„Ich werde drüber nachdenken.“ Als hätte er in den letzten Tagen an irgendwas anderes gedacht.
„Gut. Halt mich auf dem Laufenden.“ Roark setzte seine Sonnenbrille wieder auf. „Morgen früh bin ich weg. Hab noch ein paar Dinge zu erledigen, und dann geht’s nach Dubai.“
„Dubai?“ Vance lächelte. Sein Halbbruder war ein Genie, wenn es darum ging, wertvolle Dinge für Auktionen bei Waverlys aufzutreiben. Der Nachteil daran: Er war kaum je in New York. Er flog so viel in der Weltgeschichte herum, dass er bereits seinen dritten Reisepass hatte – so schnell füllte er sie mit Stempeln.
„Ja.“ Roark grinste. „Bin was Unglaublichem auf der Spur. Wenn ich das bekomme, ist es mit Rothschilds Glück vorbei. Wir wären so weit an der Spitze, dass die uns nicht mal mehr berühren könnten.“
„Was ist es?“
„Eine Überraschung. Wird das Warten wert sein. Vertrau mir.“
Und das tat Vance. Er warf eine paar Geldscheine auf den Tisch und folgte seinem Bruder. Taxifahrer hupten, in der Ferne heulte die Sirene eines
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