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Der Boss

Der Boss

Titel: Der Boss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Netenjakob
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Hochzeitskleid auf der Bettkante und schaut mich erwartungsvoll an. Ich versuche, ein Saxofon zu imitieren, das die Melodie von You can leave your hat on spielt. Dabei knöpfe ich mit vielsagenden Blicken mein Hemd auf.
    Nach der Trauung sind wir bei einem Candlelight-Dinner im Hallig-Krog, der extra für uns aufgemacht hat, langsam wieder aufgetaut – wobei uns zwei Gläser Grog und eine extrem leckere Fischsuppe geholfen haben. Danach lieferte uns der Chauffeur in der Ferienwohnung eines Bauernhofs ab, in der wir damals nach unserer Verlobung schon einmal übernachtet haben – mit geschätzten 500 Flaschenschiffen würde sie auch als Museum durchgehen. Damals wollte ich Sex, aber Aylin wollte noch warten. Heute gibt es nichts, das uns von einer perfekten Hochzeitsnacht abhalten kann. Nichts? Nichts. Alle Kommunikationsmedien sind abgeschaltet und Aylins Familie ist über 400 Kilometer weit weg.
    Aylin feuert mich jauchzend an – ich lasse erst die linke, dann die rechte nackte Schulter sehen und ziehe das Hemd aus. Bis auf eine kurze Verzögerung, in der ich den Ärmelknopf nicht aufkriege, steht meine Performance den California Dream Boys in nichts nach. Ich lasse das Hemd über meinem Kopf kreisen, um es dann elegant wegzuschleudern. Wobei es wohl Abzüge in der B-Note gibt, als es sich in der Deckenlampe verheddert.
    Plötzlich habe ich das Bedürfnis, Aylin etwas zu fragen, wasnichts mit Erotik zu tun hat. Ich denke kurz darüber nach, ob ich die Frage nicht besser verschiebe, aber ich würde bestimmt die ganze Zeit daran denken; dann würde ich mich ärgern, und meine Hochzeitsnacht hätte für immer einen Makel.
    »Aylin, diese Hochzeit war genau so, wie ich es mir gewünscht habe. Nur noch besser – Herr Petersen war einfach Weltklasse.«
    Bei der Erinnerung müssen wir beide wieder kichern. Gemeinsames Kichern ist eine unterschätzte Vorspiel-Praktik.
    »Aber jetzt … Statt 1000 verrückter Türken hatten wir einen einzigen stocksteifen Ostfriesen. Hast du jetzt nicht alles aufgegeben?«
    »Daniel, alles, was mir wichtig war, habe ich bekommen: dich!«
    »Aber ich finde, wir sollten trotzdem noch mit der Familie feiern. Ich weiß, sie bedeutet dir viel. Und ich will, dass du glücklich bist. Außerdem ist eine Hochzeit nicht komplett, wenn niemand wegen der Sitzordnung beleidigt ist.«
    Aylin strahlt:
    »Dann ist es ja gut, dass ich die Feier noch nicht abgesagt habe.«
    Ich muss lachen:
    »Hast du nicht?«
    »Nein.«
    »Hast du geahnt, dass ich …«
    »Ja. Weil du der warmherzigste und liebevollste Mensch bist, den ich kenne. Deshalb habe ich dich doch geheiratet.«
    »Ach so. Und ich dachte, weil ich so ein begnadeter Stripper bin.«
    Ich lasse wieder die Mund-Saxofon-Version von You can leave your hat on hören. Aylin johlt, greift sich meinen Arm und zieht mich aufs Bett.
    Gut acht Stunden später wache ich in dem Bewusstsein auf, die schönste Hochzeitsnacht aller Zeiten erlebt zu haben. (Natürlich habe ich keinen Vergleich und kann nicht garantieren, dass Lothar Matthäus bei einem seiner diversen Versuche nicht etwas ähnlich Tolles widerfahren ist.)
    Ich bin überrascht, was die Hochzeitsnacht mit meinem Gehirn angestellt hat: Plötzlich freue ich mich auf Leverkusen! Ichdenke: Was hatte ich nur immer gegen diese pulsierende Metropole?
    Ich wecke Aylin sanft. Kaum ist sie wach, schon strahlt sie mich an:
    »Das war unglaublich schön gestern. Schade, dass keiner die Zeremonie gesehen hat.«
    Ich habe einen Geistesblitz:
    »Aylin, wie wär’s, wenn wir die Zeremonie faken? Ein Bekannter von mir spielt den Standesbeamten, und die ganze Familie denkt, dass sie live bei der Trauung dabei ist.«
    »Das … das ist brillant! Wow, du kannst schon wie ein echter Türke denken.«
    »Ist das ein Kompliment?«
    »Natürlich. Du hast unsere Kultur verstanden. Herzlichen Glückwunsch. Und was Cems Verlobung betrifft …«
    Ich zucke zusammen. Das Thema habe ich völlig verdrängt. Cems Scheinehe war der Grund für das Platzen der Hochzeit. Wird sie jetzt auch der Grund für den ersten Ehekrach?
    »… ich habe nachgedacht, Daniel … Weißt du, ich bin immer noch verwirrt. Mir ist klar, dass Cems Verlobung eine Lüge ist. Aber ich weiß auch, dass viele Familienmitglieder die Wahrheit nicht akzeptieren können. Und wenn mein Bruder sich entscheidet, den einfacheren Weg zu gehen, dann verstehe ich das.«
    »Aber verstehst du auch, dass ich den Romantikfaktor einer Scheinehe relativ gering

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