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Der Boss

Der Boss

Titel: Der Boss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Netenjakob
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einstufe?«
    »Ja. Du musst das nicht auf unserer Feier verkünden. War eine blöde Idee von mir.«
    »Nein, das war keine … doch, eigentlich war es schon eine blöde Idee.«
    Wir lachen, und Aylin boxt gespielt beleidigt gegen meinen Brustkorb. Ich entspanne mich wieder. Für exakt vier Sekunden.
    »Daniel?«
    »Hmm?!«
    »Hast du deinen Gästen eigentlich gesagt, dass du offiziell Moslem bist?«
    »Nein.«
    »Uuuh, das könnte Probleme geben.«
    Ich zucke schon wieder zusammen. Meine Lügen habe ich genauso schön verdrängt wie Cems Verlobung. Die Schweißdrüsen, die sich gerade beruhigt haben, fangen wieder an zu arbeiten. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder kommt alles raus, oder ich muss die nächsten fünfzig Jahre weiterlügen. Das ist, als hätte man die Wahl zwischen Pest und Cholera. Zwischen Guillotine und elektrischem Stuhl. Zwischen Wolfsburg und dem Barbarossaplatz. In mir reift ein Gedanke: Ob sie mich danach noch lieben oder nicht – ich muss das Risiko eingehen.
    »Aylin, es geht nicht anders – ich muss die Wahrheit sagen.«
    »Wann?«
    »Auf der Feier.«
    »Bist du sicher? Das könnte ein Erdbeben verursachen.«
    »Es ist die einzige logische Alternative.«
    »Tja. Und jetzt denkst du wie ein echter Deutscher. Aber das ist auch okay. Egal, wie die Familie reagiert, ich bin bei dir.«

[Menü]
45
    28 Stunden, 35 Minuten nach der Trauung,
eine Stunde vor der Wahrheit.
    Der Mercedes hält mitten in einem Industriegebiet irgendwo in Leverkusen. Onkel Serkans Hochzeitssalon würde von außen auch als Lagerhalle durchgehen. Lediglich ein gut zwei mal vier Meter großes Stoff-Transparent mit dem Schriftzug
    Aylin’in ve Daniel’in dü ğ ünü
    sowie gut zwanzig große Herzen mit verschiedenen türkischen Inschriften, die aus vielen Hundert roten Rosen geformt sind, lassen auf den eigentlichen Zweck der Halle schließen. Aylin zupft meinen glänzenden weißen Hemdkragen zurecht und streift meine Anzugjacke glatt. Dann zieht sie sich den Schleier vors Gesicht. Wir steigen aus der Limousine und gehen über einen roten Teppich an dem Spalier der roten Herzen vorbei in den Saal. Sofort brandet Applaus von gut 1200 Gästen auf – es sind spontan noch einige hinzugekommen. Während es offenbar ein Gesetz gibt, das türkischen Männern verbietet, in etwas anderem als einem engen schwarzen Glanzanzug auf einer Hochzeit zu erscheinen, ist bei den Frauen vom strassbesetzten kleinen Schwarzen über pinke Satinkleider bis hin zu silbernen und goldenen Paillettenträumen alles vertreten – es muss nur hauteng, möglichst auffällig und vor allem: glitzernd sein. Auch Schminke wird nicht etwa zur dezenten Betonung eingesetzt – es werden im Gesicht eigenständige farbige Erlebniswelten erschaffen. Insgesamt kann mansagen: Der Anblick türkischer Hochzeitsgäste ist nur schwer von der Wirkung halluzigener Pilze zu unterscheiden.
    Zunächst sehe ich nur unbekannte Gesichter, bis ich Herrn Töller, den Portier vom Info-Schalter des Herzzentrums, ausmachen kann:
    »Herr Töller, wie schön! Wer hat Sie denn eingeladen?«
    Herr Töllers Zunge bewegt sich unter Alkoholeinfluss noch leichter als ohnehin schon:
    »Fragen Se misch lieber, wer misch nit einjeladen hat. Den ersten fünf hab isch ja noch abjesagt, weil isch jedacht hab, bei den Moslems jibbet kein Kölsch, die trinken ja nur Tee und Rosenwasser. Als dann der Sechste kam, hab isch mal nachjefragt, und dann wurde mir jesagt, et jibt Efes Pilsen, und dat schmeckt ja wie eine Mischung aus Gaffel und Sünner Kölsch, also hab isch jedacht: Hermann, da biste mal tolerant, und außerdem sag isch immer: Einem jeschenkten Bier schaut man nit ins Visier – haha, kleiner Spaß, muss auch mal sein. Weil sonst sagt man ja Gaul und Maul, ne, aber isch hab dat umjetextet auf Bier; und weil sisch Maul ja nit auf Bier reimt, kam isch dann auf Visier, hahahaha. Kam mir einfach so unter der Dusche, die Idee, ja, isch weiß auch nit, wo isch dat immer herhole, isch meine, dat is Talent – der eine hattet, der andere hattet nit. Isch hab et halt – da bilde isch mir jar nix drauf ein, dat is halt einfach so. Bier – Visier, hahaha, isch schmeiß misch weg. Nee, isch bin schon ne Marke.«
    Während Aylin von mindestens vierzig Frauen umschwärmt wird, die alle mit spitzen Schreien und großen Gesten ihr Kleid bewundern, lache ich noch einmal höflichkeitshalber über den Bier-Visier-Reim und schiebe mich dann weiter durch die Menge, bis ich meine Eltern

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