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Der Boss

Der Boss

Titel: Der Boss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Netenjakob
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verhältnismäßig warm für einen sechsten Februar, aber es geht ein ziemlicher Wind, und ich sehe, dass Aylin in ihrem luftigen Kleid langsam zu frieren anfängt.
    Herr Petersen schaut mich auffordernd an. Will er etwas von mir? Ich glaube ja. In der einen Hand hält er Aylins Personalausweis, die andere streckt er mir entgegen. Natürlich, die Ausweise! O mein Gott – habe ich meinen Perso dabei? Ich durchsuche panisch mein Portemonnaie. Nichts. Mein Herz setzt zwei Schläge aus.
    »Äh, tut’s auch die Dauerkarte vom 1.   FC Köln?«
    Pause.
    Pause.
    Gleich wird er sowieso »Neij« sagen, also suche ich panisch weiter. Aylin schaut mich besorgt an:
    »Du hast ihn doch sonst immer dabei.«
    Ich durchforste weiter mein Portemonnaie: EC – Karte, VISA – Karte, Mitgliedsausweis der Aktion Fischotterschutz … Ich hasse mein Portemonnaie dafür, dass es so viele Fächer hat. O Gott sei Dank, da ist er! Ich strahle Aylin an, sie seufzt erleichtert. Dann gebe ich Herrn Petersen meinen Personalausweis.
    »Neij.«
    Wie – ›neij‹?! Ist der etwa abgelaufen? Ach so, das bezog sich noch auf die FC – Dauerkarte. Alles ist gut. Herr Petersen prüft quälend langsam unsere Ausweise. Ich reibe die mittlerweile zitternde Aylin an Armen und Oberkörper. Nach einer Weile beweist Herr Petersen, dass er überraschenderweise auch einen ganzen Satz formulieren kann:
    »Die Personalien konnte ich feststellen.«
    Pause.
    Pause.
    Paaaaaaaaaaaauuuuuuuuuuuuusssssssseeeeeeeee.
    »Die Ringe, bitte.«
    Aylin und ich lächeln uns an. Wir haben unsere Verlobungsringe nie abgenommen. Jetzt reichen wir sie Herrn Petersen, der sie im Zeitlupentempo auf dem Pult platziert.
    »So.«
    Pause.
    Pause.
    Schon wieder ein ›So‹ ohne Folgetext? Nein, diesmal kommt was:
    »Bevor ich Sie jetzt offiziell vermähle …«
    Pause.
    Pause.
    »… habe ich eine kleine Rede vorbereitet.«
    Herr Petersen schaut uns jetzt mit einem Ich-gebe-Ihnen-nun-etwas-sehr-Bedeutsames-mit-in-die-Ehe-Blick an.
    Pause.
    Pause.
    Ich ziehe meine Jacke aus und lege sie Aylin um die Schultern. Sie lächelt mich dankbar an. Jetzt ist mir kalt. Herr Petersen scheint davon auszugehen, dass seine Rede umso bedeutsamer wird, je länger die Pause davor andauert.
    Pause.
    Pause.
    Paaaaaaaauuuuuuuuuuusssseeeeeeeeeee.
    »Also …«
    Pause.
    Pause.
    »… Seid nett zueinander und geht nicht zu spät ins Bett.«
    Pause.
    Pause.
    Pause.
    War das die Rede? Das war die Rede. Aylin und ich schauen uns an. Wenn man ein Lachen unterdrücken will, wird es bekanntlich schlimmer. Aylin sieht unglaublich süß aus, wenn sie versucht, sich zu beherrschen, während es sie schüttelt und die ersten Lachtränen aus den Augen fließen.
    Herr Petersen blättert jetzt quälend lange in den Unterlagen, sodass ich ein wenig auf der Stelle hüpfe, um mich warm zu halten. Aylin sieht das – und kichert wieder los. Ich kichere mit. Was tun Brautpaare nicht alles, um ihre Hochzeit unvergesslich zu machen? Sie heiraten im Hubschrauber über den Niagarafällen; sie heiraten unter Wasser mit Zeichensprache; sie reiten auf Pferden zu einem Altar am Seychellen-Strand. Aber wenn mich irgendwann mal jemand fragt, was ich wirklich romantisch finde, dann ist es das gemeinsame Unterdrücken eines Lachanfalls aus Rücksicht auf die Gefühle eines alten Ostfriesen.
    Herr Petersen wendet sich uns wieder zu, und wir spielen ein seriöses Brautpaar.
    »Herr Hagenberger, möchten Sie die hier anwesende Aylin Denizo ğ lu zur Ehefrau nehmen, dann antworten Sie bitte mit ›jouw‹.«
    »Ja. Ja, ich will.«
    »Frau Denizo ğ lu, möchten Sie den hier anwesenden DanielHagenberger zum Ehemann nehmen, dann antworten Sie bitte mit ›jouw‹.«
    »Ja. Ja, ich will. Von ganzem Herzen.«
    »Dann erkläre ich Sie hiermit zu Mann und Frau.«
    Die Nachmittagssonne über der Nordsee taucht die Schäfchenwolken in ein kräftiges Orange – eine Winterromantik, die selbst die besten Dreamworks-Programmierer nicht so bombastisch hinbekommen hätten. Herr Petersen reicht uns die Ringe, die wir uns mit zitternden Fingern anstecken. Ich lüfte Aylins Schleier und bin überwältigt, wie schön sie mit verschmiertem Kajal aussieht. Dann küsse ich zum allerersten Mal meine Ehefrau.
    Allein für diesen Augenblick würde ich ein ganzes Jahr lang Onkel Abdullahs Schnarchen ertragen und mindestens zwanzig türkische Tanten im Krankenhaus besuchen.

[Menü]
44
    2 Stunden, 35 Minuten nach der Hochzeit.
    Aylin sitzt in ihrem

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