Der Boss
blechernes Husten als weitere Sound-Nuance in den orientalischen Klangteppich einzuweben. Meine Eltern, Ingeborg und Dimiter sind als Einzige in den Fake eingeweiht – das musste ich tun, weil unser Standesbeamter auch inDimiters Romeo-und-Julia -Inszenierung mitspielt. Er stellt dort einen serbischen Kriegsverbrecher dar, der am Ende in eine Kanone uriniert.
Ich gehe weiter und treffe die Denizo ğ lus. Während Herr Denizo ğ lu den obligatorischen schwarzen Glanzanzug trägt, hat seine Frau ein leuchtend rotes Abendkleid an. Sie umarmt mich mit großem Pathos und Tränen in den Augen:
»Daniel, vallaha, ich bin unheimlich froh, dass hat doch noch geklappt alles, vallaha, ich war wahnsinnig traurig wegen abgesagte Hochzeit, aber jetzt vallaha, ich bin so froh, kannst du dir nicht vorstellen, wie froh, vallaha billaha … Komm her, mein Sohn.«
Jetzt nimmt Frau Denizo ğ lu die Haut meiner Wangen in beide Hände und schüttelt daran – offensichtlich mit dem Ziel, mir eine Gehirnerschütterung zu verursachen. Dann kneift sie mir noch ins Kinn und ins Ohrläppchen, bevor sie mich so fest an sich drückt, dass mein von der Fahrt zerknittertes Hemd dabei geglättet wird. Diese Gesten in Kombination mit der Tatsache, dass sie mich als ihren Sohn bezeichnet, werte ich als dezente Hinweise, dass sie mich immer noch liebt.
Herr Denizo ğ lu klopft mir auf die Schulter:
»Mein Sohn … heute ist für mich wunderbare Tag …«
»Für mich auch.«
»… weil Trabzonspor hat gewonnen 1 : 0 bei Antalyaspor.«
»Toll, herzlichen Glückwunsch.«
»Ach ja – für dich auch herzlichen Glückwunsch!«
»Zur Hochzeit?«
»Nein, weil 1. FC Köln hat gespielt 2 : 2 in Frankfurt.«
Wenig später treffe ich direkt neben einer gigantischen silbernen Vase, in der sich in fast zwei Metern Höhe mit goldenen Pailletten beklebte violette Stoffblumen befinden, auf Jupp und Ralf Süffels, die gerade von Onkel Abdullah in sein Sommerhaus am Schwarzen Meer eingeladen werden. Jupp legt mir sofort den Arm auf die Schulter und zieht mich beiseite:
»Hör mal, Jung, dat jeht aber nit.«
»Was?«
»Efes Pilsen bei einer Hochzeit in Köln.«
»Äh, hier ist Leverkusen.«
»Für misch existiert kein Leverkusen. Ejal, wenn ein Kölscher wie du Hochzeit feiert, dann muss et Kölsch jeben. Isch hab jrad mal den Pitter anjerufen, der bringt ein Fünfzig-Liter-Fass vorbei. Keine Ursache, ist selbstverständlich. Du, hör mal, ich war gestern in der NDR – Talkshow zu Gast, heute Morgen hatte ich schon über 500 000 Klicks bei YouTube, und heute Mittag kamen Einladungen zu TV Total und Willkommen bei Carmen Nebel. Jung, ejal wo du bist, ob in Köln, in der Türkei oder am Nordpol – wenn du Kölsch brauchst, ruf misch an, und du kriegst so viel, wie du willst.«
Als die Musik plötzlich stoppt, merke ich: Der große Moment ist gekommen. Zwei vergoldete Stühle werden auf die Bühne gestellt. Aylin und ich nehmen Platz. Als der von mir engagierte Schauspieler zum Mikrofon schreitet, kommt mir das irgendwie surreal vor, aber ich genieße jede Sekunde. Gestern hatte ich die Traumhochzeit für meine deutsche Seele – und es hätte definitiv etwas gefehlt, wenn nicht heute das türkische Mega-Event gefolgt wäre. Im Publikum sehe ich, dass Ralf und Jupp Süffels mit Mark und Tanja an einem Tisch sitzen. Alle vier zeigen mir jetzt den gestreckten Daumen. An den Tischen der türkischen Familie entsteht kurz Unruhe, weil zwei Tanten beleidigt aufstehen und den Platz wechseln, als Onkel Abdullah sich setzt. Der Schauspieler, Gerd Erdmann, nimmt das Mikrofon.
»So, ich darf mich kurz vorstellen: Mein Name ist Heribert Fassbender, und ich bin Standesbeamter der Stadt Köln.«
Warum nennt er sich wie der ehemalige ARD – Sportchef, Moderator der Sportschau und ungeschlagener Meister des gelangweilten Spielkommentars? Egal, wird schon niemandem auffallen.
»Ich konnte die Personalien überprüfen und ihre Richtigkeit feststellen, und deshalb sage ich nun: Lllllllllet’s get ready to rrrrrummmmbllleeeeee …«
Ja, ist der denn von allen guten Geistern verlassen? Erst nennt er sich Heribert Fassbender, und jetzt imitiert er Michael Buffer. Man sollte Schauspieler nie ohne Regisseur agieren lassen.
»Also, ich frage zunächst die anwesende … äh …«
Er lässt sich von Aylin ihren Namen ins Ohr flüstern.
»… Aylin Denizo ğ lu: Wollen Sie den hier anwesenden Daniel Hagenberger zum Mann nehmen, ihn lieben und
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