Der Boss
Trabzonspor: sein Hass auf Fenerbah ç e. Er läuft brüllend und laut lachend durch meine Wohnung, wobei sich seine Stimme überschlägt und er völlig die Fassung verliert.
Ich war in der siebzigsten Minute im Sitzen eingenickt und hatte deshalb den Schock meines Lebens, als ich von einem brüllenden Lebewesen mit Wolf-Biermann-Schnäuzer an beiden Schultern gepackt und aus dem Schlaf geschüttelt wurde. Für eine Sekunde dachte ich, es ist tatsächlich Wolf Biermann, der sich dafür rächen will, dass ich seine Platten nie freiwillig gehört habe.
Jetzt steht Onkel Abdullah gut dreißig Zentimeter vor dem Fernseher und verspottet höhnisch den Fenerbah ç e-Trainer, dessen Verzweiflung beim Einschlagen des Balles im Netz gerade zum fünften Mal in Zeitlupe wiederholt wird. Ich verstehe jedes Wort – während dieses Spiels hat sich mein türkisches Schimpfwort-Repertoire um die Worte Hayvan (Tier), Öküs (Ochse) und Orospu Çocu ğ u (Hurensohn) erweitert. Außerdem kenne ich jetzt die liebevolle türkische Redensart »Ananın ’mında ç in ordusu manevra yapsın« (In der Mumu deiner Mutter soll das chinesische Militär ein Manöver durchführen).
Als zehn Minuten später der Schlusspfiff ertönt, nimmt Onkel Abdullah meinen Kopf so fest in seine Hände, dass ich eine Quetschung befürchte, und drückt mir einen dicken Schmatzer auf die Stirn, wobei sein Schnäuzer wie ein Extrem-Peeling mehrere Hautschichten entfernt. Ich gehe schnell ins Bad, um etwas homöopathische Wundsalbe aufzutragen. Als ich ins Wohnzimmer zurückkomme, diskutiert Onkel Abdullah auf Türkisch mit Volkan Demirel, dem Fenerbah ç e-Torwart, der gerade interviewt wird. Als er mich sieht, grinst er so breit, dass die nach unten weisenden Schnurrbart-Enden fast waagerecht stehen:
»Siehst du, Daniel – wenn du immer betest, wirst du von Allah belohnt. Komm, wir beten zusammen.«
»Tolle Idee. Äh, aber … wie wär’s, wenn wir vorher auf die Niederlage von Fenerbah ç e anstoßen?!«
»Na gut.«
Ich gehe in die Küche und komme mit einer Flasche Sekt wieder – woraufhin sich Onkel Abdullahs Miene verfinstert:
»Du trinkst Alkohol? Was bist du nur für ein Moslem?«
»Oh, tut mir leid, das … äh … tja.«
Ich bin einfach nicht zum Lügen geboren. Das war so ziemlich der dümmste Fehler, der einem passieren kann, wenn man einen Moslem spielt. Onkel Abdullah mustert mich lange kritisch. Dann lässt er ein lautes Brummen hören, das sich wie ein elektrischer Rasierapparat anhört.
»Alkohol ist verboten. Ich muss schimpfen mit Aylin. Sie hat dir falsch beigebracht.«
Irgendwie praktisch, wenn immer die Frauen schuld sind.
»Dafür, wir beten einfach bisschen länger. Also – wo ist Mekka?«
»Im westlichen Saudi-Arabien.«
»Nein, ich meine: Welche Richtung müssen wir beten?«
»Ach so. Tja, also, äh Moment … Hier ist die Südstadt, im Osten sind die Poller Wiesen, da muss man links in die Alteburger und dann immer geradeaus, also ich würde sagen: genau da, wo das Plakat von Ein Fisch namens Wanda hängt.«
Onkel Abdullah schaut mich durchdringend an.
»Du hast hier noch nie gebetet.«
»Tja, also, äh … nein.«
»Ich muss wirklich schimpfen mit Aylin. Sie nimmt Religion viel zu locker.«
»Tja. Also …«
»Ich hole Gebetsteppich.«
Onkel Abdullah kramt einen kleinen Teppich aus einem seiner beiden Koffer, die ich mit Aylin unter Aufbietung meiner allerletzten Kräfte in den vierten Stock geschafft habe. Der Teppich riecht, ebenso wie die Koffer, penetrant nach Essig und Knoblauch.
»Habe ich eingelegte Gemüse für euch mitgebracht. War leider Deckel nicht dicht, und diese Hurensöhne in Flughafen immer werfen Koffer ohne Rücksicht.«
Onkel Abdullah legt den Gebetsteppich auf den Boden:
»Los, Daniel.«
Ich knie mich hinter Onkel Abdullah, der daraufhin seinen Oberkörper dem Boden zuneigt. Onkel Abdullah denkt, ich bete, obwohl ich nur Rückenübungen mache. Jetzt habe ich definitiv das Gefühl, ich gehe zu weit. Nicht zu erwähnen, dass ich kein Moslem bin, ist eine Sache. Aber das hier ist eine bewusste Täuschung! Wenn es Allah tatsächlich gibt, ist er jetzt bestimmt ganz schön wütend auf mich. Und der sieht das sicher weniger entspannt als Buddha, so: »Okay, in diesem Leben hast du’s gerade vermasselt, dann versuch’s halt mal im nächsten.«
Plötzlich erinnere ich mich an meinen 18. Geburtstag. Ich hatte nur Mark und Gaby Haas eingeladen. Mark ist auch gekommen. Vielleicht
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