Der Boss
Ohne Familie. Nur du, ich und ein Standesbeamter.«
»Das wäre sehr romantisch.«
»Nicht wahr?! Vielleicht wollte uns das Schicksal sagen: Macht einfach euer Ding. Ohne die Familie.«
»Ja, das wäre toll … Aber es geht natürlich nicht.«
»Warum nicht?«
»Weil es nicht geht.«
»Natürlich geht das.«
»Nein, das geht nicht.«
»Doch. Man macht einen Termin, man sagt Ja – das war’s.«
»Das geht nicht. Heiraten ohne Familie, das ist wie Schafskäse-Rührei ohne Schafskäse, das ist wie Raki ohne Eiswürfel, das ist wie der Mond ohne Yakamoz.
Anmerkung
Das geht vielleicht für Deutsche. Aber für Türken auf gar keinen Fall.«
Ich seufze. Da klingelt es. Ich drücke auf und höre, wie sich Onkel Abdullah unter arabischen Flüchen die vier Stockwerke des Altbaus in der Kölner Südstadt hochquält. Als er einige Minuten später keuchend oben angekommen ist, bemühe ich mich, den Platz tief in seinem Herzen zu behalten, und empfange ihn mit einem strahlenden Lächeln:
»Onkel Abdullah, es ist mir eine Ehre, dich bei mir zu haben.«
»Kriegst du Lig TV ?«
»Äh, nein. Ich habe Kabelfernsehen, da sind keine türkischen Sender dabei. Wieso?«
»Gleich kommt Büyük ş ehir gegen Fenerbah ç e. Will nicht verpassen – hoffe, diese Zuhälter kriegen eine auf die Fresse.«
»Willst du zum Männercafé fahren?«
»Nein, ich nicht noch mal gehe diese verdammte Treppe. Aylin?«
»Ja, Abdullah Amca?«
»Ruf Kenan an – er soll holen Schüssel.«
Exakt 47 Minuten und 23 Sekunden später hat Reisebüro-Kenan eine Satellitenschüssel in die Außenwand neben meinem Badezimmerfenster gedübelt, sechs Meter Kabel mit Kabelhaltern ins Wohnzimmer geführt und die Sender programmiert:
»Lig TV musst du eigentlich bezahlen, aber ich hab den Code geknackt, das ist kein Problem. Soll ich dir auch noch Sky knacken, für die Bundesliga? Dann hast du zwei Vögel mit einem Stein erschlagen.«
»Zwei Vögel mit einem Stein?«
»Genau.«
»Lustig. Wir sagen ›Zwei Fliegen mit einer Klappe‹ … Aber ›Zwei Vögel mit einem Stein‹ ist als Bild irgendwie kräftiger.«
Kenan hört nicht mehr zu, weil er gerade den Sky-Code knackt. Ich versuche einen Gag:
»Was sagen wohl die Araber – ›Zwei Hochhäuser mit einem Flugzeug‹?!«
Aylin schaut mich vorwurfsvoll an und deutet dann mit dem Blick auf ihren Onkel. Der überlegt kurz und lacht dann.
»Hahaha, der war gut. Deine Mann hat Humor, Aylin. Und ist Moslem. Und für Trabzonspor. Besser geht nicht.«
Abdullah lacht wieder und haut mir etwas zu kräftig auf die Schulter. Aylin lächelt:
»So, dann viel Spaß, ihr Fußballverrückten, ich fahre jetzt mit Kenan zurück zu Tante Emine.«
Ich bin irritiert:
»Du willst zurück ins Krankenhaus?«
»Natürlich. Sie hatte einen Herzinfarkt. Da kann ich sie doch nicht alleine lassen.«
Ich verzichte auf eine Diskussion über die wahre Bedeutung von alleine lassen und verabschiede mich mit Wangenküsschen von Aylin sowie mit einem kräftigen Schulterklopfen von Kenan, der mir noch eine Fernbedienung in die Hand drückt:
»Mach dir keine Sorgen, die Fernbedienung ist von einer anderen Firma als der Receiver, aber das funktioniert trotzdem. Macht normal 500 Euro, aber wenn du willst, können wir das ohne Rechnung machen, dann nur 400. Und du kriegst natürlich Familienrabatt, also gib mir einfach 200 Euro und wir sind quitt.«
»Was? Hey, ich wollte gar keine Schüssel, das war …«
Aylin stoppt mich mimisch und flüstert mir dann ins Ohr:
»Seine Mutter hatte gerade einen Herzinfarkt. Er ist mit den Nerven am Ende. Wenn er ein bisschen Geld verdient, baut ihn das wieder auf. Gib ihm einfach 200 Euro, ich geb’s dir morgen wieder.«
Ich seufze und hole 200 Euro aus meiner Krümelmonster-Spardose. Kenan überprüft das Wasserzeichen und steckt sich das Geld in die Hosentasche.
»Danke, Schwager. Und wenn jemand von Sky oder Lig TV klingelt, denk dran: Ohne Durchsuchungsbefehl darf keiner rein.«
Damit hasten Aylin und Kenan die Treppen hinunter – und ich stelle mich darauf ein, die »Hochzeitsnacht« mit Onkel Abdullah zu verbringen.
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26
11 Stunden, 40 Minuten nach der geplatzten Hochzeit.
Es ist 21 Uhr 40, und ich glaube, gerade ist mein Trommelfell gerissen. Und zwar, weil Büyük ş ehir in der achtzigsten Minute das 2 : 0 gegen Fenerbah ç e geschossen hat. Wie sich herausstellte, gibt es bei Onkel Abdullah nur eine Emotion, die noch intensiver ist als seine Liebe zu
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