Der Boss
in Kombination mit Allah, Allah verwendet.
Meine Nervosität steigt. Was auch immer Aylin gerade erfährt, es klingt dramatisch. In türkischen Telefonaten klingt zwar alles dramatisch, also auch, wenn Tante Ay ş e die Knoblauchwurst angebrannt ist oder Onkel Mustafa ein Loch in der Socke hat. Aber etwas Dramatisches klingt eben auch dramatisch – und ich habe immer noch keine Methode gefunden, echte Dramatik von künstlicher Dramatik zu unterscheiden.
»Allah, Allah … Allah, Allah … Inanmıyorum … Okay, ich sag’s Daniel.«
Aylin legt auf, und ich warte in stiller Panik auf die Hiobsbotschaft.
»Daniel, es gibt zwei Probleme. Ein kleines und ein großes.«
»Okay, ich will zuerst das große hören. Nein, das kleine. Oder, halt! Doch zuerst das große.«
»Gut, zuerst das kleine: Kenan hat unsere gesamte Hochzeits-Dekoration über eBay an ein Paar in Rheda-Wiedenbrück versteigert. Die heiraten zwar erst in drei Wochen, haben aber schon alles abgeholt. Jetzt könnten wir die Sachen zurückkaufen, aber die haben 2500 Euro bezahlt und wollen jetzt 3500.«
»Und das große Problem?«
»Die Sitzordnung.«
»Was ist mit der Sitzordnung?«
»Du weißt doch: Beim ersten Termin gab es das Problem, dassEmine nicht mit Ay ş e gesprochen hat. Weshalb wir gesagt haben, wir machen zwei Familientische und beim Brautpaar sitzen nur die Eltern.«
»Stimmt, das war eine von deinen 372 SMS .«
»Jetzt hat sich Ay ş e nach dem Herzinfarkt so rührend um Emine gekümmert, dass sie sich versöhnt haben.«
»Na wunderbar, dann können alle wieder an einen Tisch.«
»Das war nicht der Punkt. Emine muss sowieso noch im Krankenhaus bleiben.«
»Und was ist der Punkt?«
»Kenan hat gerade erzählt, dass Ay ş e inzwischen nicht mehr mit Hatice redet, weil sie Emine nur einmal im Krankenhaus besucht hat.«
»Und da wären es wieder zwei Tische.«
»Außerdem hat sie sich mit der anderen Emine verkracht, weil sie immer noch ein Problem im Kaffeesatz sieht. Und sie redet auch nicht mehr mit ihrer Nichte Aysun, weil die während der OP im Kino war. Onkel Abdullah ist auch auf ihrer Liste – seit er gesagt hat, dass Emines Herzinfarkt eine Strafe von Allah für ihr Lotterleben war.«
»Moment mal. Erst hat Ay ş e nicht mit Emine geredet, dann versöhnt sie sich mit Emine, redet aber mit niemandem mehr, der Emine schlecht behandelt hat.«
»Exakt.«
»Dann kommen die alle an den Leute-mit-denen-Tante-Ay ş e-nicht-redet-Tisch.«
»Im Prinzip ja, aber die Kaffeesatzlese-Emine redet auch nicht mit ihrer Nichte Aysun …«
»Dann brauchen wir einen dritten Tisch.«
»… und Tante Hatice hat sich gestern mit Onkel Abdullah gestritten, weil sie in seiner Gegenwart ein Schweineschnitzel gegessen hat.«
»Okay, das wird kompliziert. Wir machen einfach nur Vierertische, dann kann sich jeder aussuchen, mit wem …«
»Das kostet zu viel Platz.«
»Dann müssen sie sich eben irgendwie arrangieren.«
»Das gibt eine Katastrophe: Die Frauen werden hysterisch;dann kommen die Männer, wollen schlichten, und am Ende kommt’s zur Schlägerei.«
»Aber kannst du der Familie denn nicht klarmachen, dass es aus Platzmangel nicht möglich ist …«
»Entschuldigung, Daniel, aber du gehst von einer falschen und, tja … sehr deutschen Vorstellung aus …«
»Und die wäre?«
»Dass die Beteiligten ihren Verstand benutzen.«
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35
1 Tag, 23 Stunden, 14 Minuten vor der Hochzeit.
»Emine, kannst du diese Unterlagen für mich kopieren, bitte?«
»Okay, Schwager.«
Ich warte. Nichts passiert. Dann höre ich Hühner gackern.
»Emine?«
»Hm?«
»Die Kopien?!«
»Okay.«
Ich warte. Dann ertönt das Blöken eines Schafs.
»Emine?«
»Yasemin hat mir ein Schaf geschenkt.«
»Großartig. Ich bin begeistert.«
»Jetzt hab ich mehr Schafe als Hühner.«
»Herzlichen Glückwunsch.«
Emine ist seit einer Stunde damit beschäftigt, virtuelle Tiere zu kaufen, um damit im Internet einen imaginären Bauernhof zu betreiben. Was natürlich Priorität hat.
»Emine, die positive Entwicklung deines Farmbetriebs freut mich wirklich sehr. Und dass du für das Pflanzen eines Apfelbaums mit dem getigerten Schwein belohnt wurdest, sollte bei Gelegenheit gefeiert werden. Aber solange du hier arbeitest, musst du mit Farmville Pause machen. Okay?«
»Okay. Oh. Auf Kenans Farm hat sich eine rosa Kuh verirrt. Die muss ich unbedingt noch adoptieren.«
Ich seufze. Wahrscheinlich bin ich der einzige Chef der Welt, der seiner
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