Der Boss
wahrscheinlich keiner anruft.«
»Aber im Notfall wissen sie ja, dass du hier bist. Dann können sie uns übers Festnetz erreichen.«
»Du weißt doch, dass ich offiziell bei Emine übernachte.«
»Bei welcher Emine?«
»Ist doch egal. Auf jeden Fall bin ich offiziell nicht hier.«
»Aber deine Eltern wissen, dass du hier bist.«
»Glaube schon.«
»Gut, dann lassen wir’s also aus.«
»Okay.«
»Und Onkel Abdullah kannst du morgen früh zurückrufen.«
Ich küsse Aylins Hals in der Hoffnung, dass sie meinen letzten Satz überhört hat. Vergebens.
»Onkel Abdullah hat angerufen?«
»Ja.«
»Wann?«
»Gerade, als du unter der Dusche warst.«
»Was wollte er?«
»Weiß nicht. Bin ja nicht drangegangen.«
»Was???«
»Ich bin nicht drangegangen.«
»Aber jetzt denkt Onkel Abdullah, ich will ihn nicht sprechen.«
»Du willst ihn ja auch nicht sprechen.«
»Ja schon. Aber er darf nicht denken , dass ich ihn nicht sprechen will.«
»Warum nicht?«
»Weil das unhöflich ist.«
»Unhöflich ist es, nach Mitternacht anzurufen.«
»Aber vielleicht ist es ein Notfall.«
»Das ist unwahrscheinlich.«
»Aber möglich.«
Ich reiche Aylin das iPhone.
»Okay, jetzt bin ich selbst neugierig.«
Aylin schaltet das iPhone wieder ein und schaut mich sorgenvoll an:
»Ich hoffe, es ist nichts mit Tante Emine passiert.«
Ich höre, wie Onkel Abdullah sich meldet. Aylin redet aufgeregt Türkisch. Dann legt sie auf und lächelt mich an:
»Eine gute und eine schlechte Nachricht.«
»Zuerst die schlechte!«
»Onkel Abdullah ist in zehn Minuten hier.«
»Okay, wir beeilen uns!«
Ich verliere keine Zeit und küsse Aylins Hals. Drei Sekunden später wird mir klar, dass ich zu angespannt bin. Ich seufze:
»Und was ist die gute Nachricht?«
»Onkel Serkan war auch in Düsseldorf.«
»Hochzeitssalon-in-Leverkusen-Onkel-Serkan?«
»Genau.«
»Und das ist eine gute Nachricht.«
»Ja. Er hat nämlich gerade erfahren, dass für Samstag eine Hochzeit abgesagt wurde. Wir können den Saal haben, wenn wir wollen. Onkel Abdullah hat sofort Tante Emine gefragt – sie hat nichts dagegen. Sie meinte, der Kaffeesatz hat diesmal nicht die Wahrheit gesagt. Sie ist über den Berg.«
»Das heißt: Wir können schon am Samstag heiraten?«
»Ja.«
Ich bekomme eine Gänsehaut. Aylin und ich umarmen uns fest, während der CD -Player die Piano-Klassik-Version von Über sieben Brücken musst du geh’n ins Zimmer spült. Nur noch fünf Tage. Wenn wir einen Termin beim Standesamt kriegen. Und die Prognose aus dem Kaffeesatz sich nicht doch noch bewahrheitet. Und auch sonst niemand ernsthaft erkrankt. Und niemand rausfindet, dass ich kein Moslem bin. Und die Denizo ğ lus nach der Romeo-und-Julia -Premiere am Mittwoch keinen Rückzieher machen. Und Aylin nicht mehr ihr Leben an roten Ampeln aufs Spiel setzt.
Mach dich nicht verrückt, Daniel. Was ist das Schlimmste, das in den fünf Tagen passieren kann? Tja.
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VIERTER TEIL
3. und 4. Februar
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34
2 Tage, 1 Stunde, 35 Minuten vor der Hochzeit.
Am nächsten Morgen machen Aylin und ich im Kölner Standesamt den neuen Hochzeitstermin aus: Donnerstag, 5. Februar, elf Uhr im historischen Rathaus. Für Freitag und Samstag gab es keine Termine mehr, aber so können wir uns Donnerstagabend ganz auf die Hochzeitsnacht konzentrieren, Freitag den Saal schmücken und Samstag gelöst feiern.
Wir haben das Standesamt noch nicht verlassen, als Aylin die frohe Botschaft bereits per iPhone via SMS , Facebook, E-Mail und Skype möglichst vielen Familienmitgliedern, Freunden, Bekannten und Unbekannten verkündet hat.
Wenig später sitzen wir bei »Starbucks« am Friesenplatz. Die Nachricht von unserem neuen Hochzeitstermin gefällt auf Facebook bereits hundertachtunddreißig Menschen und hat siebenundvierzig Kommentare; Aylins iPhone piepst im Schnitt alle 6,3 Sekunden, um den Eingang einer Glückwunsch- SMS zu vermelden; und ich habe in fünfundvierzig Minuten mit über zwanzig vor Freude kreischenden Familienmitgliedern telefoniert, von denen ich sogar fast die Hälfte kannte. Jetzt stoßen wir mit Chai Latte auf unsere bevorstehende Hochzeit an. Aylin strahlt:
»Ich kann es noch gar nicht fassen, dass es so schnell geklappt hat.«
»Ich auch nicht. Das ist … super!«
Habe ich gerade super gesagt? Das Wort ist viel zu banal für diesen außergewöhnlichen Anlass. Ich scanne meinen mentalen Thesaurus nach besseren Begriffen für das
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