Der Boss
Untergebenen die virtuelle Adoption einer rosafarbenen Kuh als Entschuldigung durchgehen lässt.
»Aber wenn du die rosa Kuh hast, machst du die Kopien.«
»Klar … Dann brauch ich nur noch die weiße fliegende Kuh und das Schaf auf dem Motorrad.«
Das darf ja wohl nicht wahr sein! Dabei hat mein Tag so schön begonnen: Erst der neue Hochzeitstermin und dann habe ich mir auf dem Weg zur Arbeit die deutsche Überkorrektheit weiter abtrainiert:
Ich habe die zehn Cent, die mir der Büdchenbesitzer für die Cola-Dose zu viel rausgegeben hat, einfach behalten und beschlossen, mit dem schlechten Gewissen zu leben.
Ich bin am Friesenplatz bei Rot über die Straße gegangen.
Ich habe die leere Cola-Dose in eine private gelbe Tonne geworfen. (Sicher, es wäre noch rebellischer gewesen, wenn ich sie in eine private blaue Tonne geworfen hätte, aber man muss ja nicht alle Prinzipien auf einmal über den Haufen werfen.)
Ich bin in der Venloer Straße bei Rot gegangen.
Ich bin in der Brüsseler Straße bei Rot gegangen.
Ich habe den Typ von McFit , der mich anwerben wollte, mit der Lüge gestoppt, dass ich schon Mitglied bin.
Anschließend habe ich beim Lesen des Kölner Express Wesentliches über unsere Welt gelernt: Peter Maffay schwört auf Klappmesser, Nelly Furtado hat einen Töpferkurs besucht, und in Salt Lake City wurde eine Demo gegen die vom Menschen verursachte Klimaerwärmung von einem Schneesturm gestoppt.
Danach habe ich bei Facebook erfahren, dass Mark jetzt mit Gott befreundet ist – also ein ganz normaler Arbeitsbeginn. Bis Emine siebenunddreißig Minuten zu spät in meinem Büro eintraf, natürlich ohne sich zu entschuldigen, und mich seitdem durch konstantes Desinteresse an mir und ihrem Job wahnsinnig macht.
»Emine, jetzt komm schon. Muss ich denn erst wütend werden?«
Eine leere Drohung. Ich bin ja schon wütend. Es ist mir nurphysisch unmöglich, meine Umwelt daran teilhaben zu lassen. Ich weiß zwar theoretisch, dass ich meine Stimme erheben und Sätze sagen müsste wie: ›So, mir reicht’s! Entweder, du machst jetzt sofort Kopien, oder du kannst nach Hause gehen.‹ Aber in der Praxis habe ich auf diesen Teil des menschlichen Verhaltensrepertoires keinen Zugriff. Emine lacht:
»Guck mal, Schwager, mit der rosa Kuh kann ich Erdbeermilch produzieren.«
Auf meinem Laptop-Monitor leuchten seit gut zehn Minuten zwanzig verschiedene Entwürfe für den Schriftzug »Echt typisch kölsch«. Ich sollte mich jetzt für einen davon entscheiden. Stattdessen taucht in meinem Kopf meine Biologielehrerin auf, an die ich seit über zehn Jahren nicht mehr gedacht habe, und erklärt mir, dass es erstens keine rosa Kühe gibt und dass diese zweitens, selbst wenn es sie geben würde, keine Erdbeermilch produzieren könnten.
Verdammt noch mal, alle Praktikantinnen dieser Welt machen Kopien, nur meine nicht.
»Also, Emine, was ist mit den Kopien?«
»Kommen sofort, Schwager.«
Mir ist längst klar, dass das Wort ›sofort‹ sowohl eine europäische als auch eine orientalische Bedeutung hat – das gilt übrigens für alle Zeitangaben:
Obwohl ich es prinzipiell beneidenswert finde, dass der Orientale an sich weniger stressanfällig ist als ich, habe ich doch das Gefühl, dass ich als Boss irgendwann mal was sagen sollte, wenn die Praktikantin seit zwei Stunden Farmville spielt. Sarkasmus ist das, was in meinem Verhaltensinventar dem Äußern von Wut noch am nächsten kommt:
»Emine, ich bin mir der überragenden Bedeutung deiner Tätigkeit voll bewusst. Wahrscheinlich wären rosa Kühe ohne dich schon ausgestorben, und du wirst dafür irgendwann das Bundesverdienstkreuz erhalten. Aber auch das Kopieren ist eine heilige Aufgabe, und du musst dich ihr in deinem Leben irgendwann stellen.«
Emine schaut mich mit leerem Blick an.
»Was meinst du, Schwager?«
Sarkasmus wirkt leider nur bei Menschen, die ihn verstehen.
»Ich meinte, du wolltest diese Unterlagen kopieren.«
»Okay, Schwager. Oder soll ich dich jetzt Chef nennen?«
»Nenn mich einfach Daniel.«
»Okay, Schwager.«
Ich seufze.
»Was ist, Schwager?«
»Die Kopien?!«
»Kommen gleich.«
»Nicht gleich. Jetzt .«
Für eine Sekunde denke ich, dass Emine genervt aufstöhnt, aber in Wirklichkeit hat nur die rosa Kuh gemuht. In diesem Moment kommt Ulli rein, der trotz 22 Grad Celsius in der Firma einen dicken Wollschal um den Hals gewickelt hat:
»Du, Daniel, ich hab hier mal einen Entwurf fürs CD – Cover von Bernd Banane.«
Er
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