Der Bourne Befehl
hat.«
»Genau.«
Bourne nahm sich einige Augenblicke, um ihre Worte zu verarbeiten. Nachdem er sich jetzt eine Weile mit ihr unterhalten hatte, waren ihm doch einige Unterschiede zu der Kaja aufgefallen, die er gekannt hatte – oder eben nicht wirklich gekannt hatte. Es erschien ihm immer wahrscheinlicher, dass es wirklich Skara war, die ihm hier gegenübersaß. Er erinnerte sich an die letzte Begegnung in dem Lagerraum von El-Gabal. Da war etwas Seltsames in ihrem Blick gewesen, etwas Fremdes und gleichzeitig quälend Vertrautes. »Töte mich!« , hatte sie gerufen. »Damit das endlich ein Ende hat.«
War diese Frau kurz vor ihrem Ende wieder die alte Kaja gewesen?
Es gab einen Weg, Klarheit zu gewinnen.
Bourne beugte sich über den Tisch. »Zeigen Sie mir Ihren Hals.«
»Wie bitte?« Sie sah ihn verwirrt an.
»Kaja wurde einmal von einem Ozelot angefallen. Sie hat eine große Narbe am Hals.«
»Na gut.« Sie zog ihren Rollkragen herunter und entblößte ihren schönen, langen Hals mit seiner makellosen Haut. »Und – Test bestanden?«
Bourne entspannte sich, doch er empfand eine gewisse Traurigkeit. »Töte mich, damit das endlich ein Ende hat.« Arme Kaja, gequält von dem Albtraum der Persönlichkeiten, die sie nicht beherrschen konnte.
»Was wollte Kaja bei Semid Abdul-Qahaar?«, fragte er schließlich.
Skara seufzte und zog ihren Rollkragen hoch. »Eine ihrer Persönlichkeiten hasste unseren Vater. Sie wollte sich dafür rächen, dass er uns verlassen hat.«
»Insofern hat sie also die Wahrheit gesagt.«
Skara betrachtete ihn einen Augenblick. »Die besten Lügen haben einen wahren Kern. Nur hat sie Ihnen nicht die ganze Wahrheit erzählt.«
Bourne strich es kalt den Rücken hinunter. Er trank einen kräftigen Schluck Kaffee, schwarz, bitter, aber stärkend. »Erzählen Sie.«
Einen Moment lang starrte sie in den Kaffeesatz ihrer Tasse. »Ich würde es lieber nicht tun.«
»Nicht?«, erwiderte Bourne mit einem Anflug von Zorn. Wieder einmal hatte er das Gefühl, manipuliert zu werden.
»Ich bin nicht die Richtige dafür«, fügte sie lächelnd hinzu. »Bitte. Haben Sie Geduld bis morgen früh.« Sie nahm ein kleines ledernes Notizbuch aus ihrer Handtasche, schrieb eine Adresse auf, riss den Zettel ab und gab ihn ihm. »Morgen um zehn Uhr.« Sie gab der Kellnerin ein Zeichen, noch zwei Tassen Kaffee zu bringen.
Ihr Blick wanderte zu seiner linken Schulter. »Sie wurden in Damaskus verletzt.«
»Mir fehlt nichts«, antwortete Bourne. Er wollte sie fragen, woher sie das alles wusste, ließ es dann aber sein. Er spürte, dass er es ohnehin bald erfahren würde.
»Erzählen Sie mir doch von der Beretta«, sagte sie stirnrunzelnd. »Ich hatte keine Ahnung, dass meine Mutter eine Pistole besaß und dass sie bewaffnet war, als sie erschossen wurde. Haben Sie ihr die Waffe abgenommen?«
»Ihre Schwester hatte sie«, antwortete er. »Ich weiß nicht, woher.«
Skara nickte, als wäre ihr soeben etwas klar geworden, was sie längst hätte erkennen müssen. »Ich glaube, Kaja hat ihr die Pistole gegeben. Das würde ihr ähnlich sehen.«
»Mit fünfzehn?«
»Nachdem mein Vater weg war, hatten wir alle große Angst. Ich kann mir vorstellen, dass Mutter die Pistole genommen hat, ohne lange zu überlegen.«
»Das ist noch nicht die ganze Geschichte, stimmt’s?«
Skara lächelte schmerzlich. »So ist es doch bei jedem von uns, oder?«
Irgendwann in der Nacht hatte es aufgehört zu schneien. In dieser Nacht hatte Bourne Rebekka angerufen, die müde klang, aber froh war, von ihm zu hören. In dem dunklen Hotelzimmer kam ihm ihr leises Gespräch vor wie ein Traum. Danach wiegten ihn die gedämpften Geräusche der Stadt in den Schlaf. In seinem Traum rollte ein Lastwagen einen einsamen Highway entlang.
Als er am Morgen das Hotel verließ und in ein wartendes Taxi stieg, war der Himmel strahlend blau, und die Sonne leuchtete kräftig in der klaren, kalten Luft. Er stieg vor einem modernen Bau in der Birger Jarlsgatan aus. Gegenüber befand sich das Gebäude von Goldman Sachs International.
Skara erwartete ihn vor der Eingangstür, nahm ihn am Arm und führte ihn hinein. Das ganze Erdgeschoss wurde von der Nymphenburger Privatbank eingenommen. Die Sicherheitsleute nickten ihr zu, als sie mit ihm über den Marmorboden zum Aufzug ging, mit dem sie einige Stockwerke hochfuhren. Oben angekommen, führte sie ihn zu einer weitläufigen Bürosuite, vorbei an zwei Sekretärinnen und drei Assistenten und
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