Der Bourne Befehl
außerhalb dieses Rahmens, deshalb ersuche ich Sie, extrem vorsichtig zu sein. Ich weiß, dass Sie das beherzigen werden. Falls Sie sich fragen, warum ich so vorgehe – Sie sind der Einzige, dem ich das anvertrauen würde. Benutzen Sie KEINEN der üblichen Kanäle, um mit mir in Kontakt zu treten. Was Sie herausfinden, deponieren Sie NUR hier. Ich kann gar nicht betonen, wie wichtig Ihre Arbeit sein könnte. Viel Glück.«
»Estevan Vegas.«
Bourne hatte auf der Karte nachgesehen und schätzte, dass sie höchstens fünf Kilometer von Vegas’ Haus entfernt waren. Er hatte sich entscheiden müssen, ob er es zuerst bei ihm zu Hause versuchte oder auf dem Ölfeld. Der lange, staubige Nachmittag neigte sich dem Ende zu, das Licht bekam diesen Sepia-Ton alter Fotografien. Die späte Tageszeit gab den Ausschlag, außerdem wollte er Vegas im Beisein seiner indianischen Geliebten treffen.
»Wer?«, fragte Kommandant Suarez mit immer noch benommener Stimme, in der Schmerz und Angst mitschwangen. »Sollte ich den Mann kennen?«
»Er gehört zu Severus Domna.«
»Na und?« Suarez konnte nicht einmal mit seinen bulligen Schultern zucken, ohne dass es ihm einen schmerzhaften Stich gab. »Ich hab dir ja gesagt, dass in der Domna keiner mehr weiß als unbedingt nötig.« Er schmatzte mit den Lippen. »Ich brauche ein Bier. Du könntest bestimmt auch eins vertragen.«
Bourne ging nicht darauf ein und brauste weiter die Straße hinunter, die sich immer noch zwischen den Bergen der Cordillera hindurchschlängelte. Er hatte das Fenster heruntergelassen, und die Luft kühlte das stinkende Innere des Jeeps; Suarez schwitzte wie ein Wildschwein.
»Wenn du mir noch einmal sagst, dass du nicht weißt, wer Estevan Vegas ist«, sagte Bourne schließlich, »dann bleib ich stehen und werfe dich den Berg hinunter.«
»Okay, okay.« Suarez fing wieder zu schwitzen an. »Also gut, ich kenne Vegas. Jeder in der Gegend kennt ihn. Und wenn schon!«
»Erzähl mir von der Frau, mit der er lebt.«
»Über die weiß ich gar nichts.«
Bourne fuhr an den Straßenrand, hielt an und hämmerte Suarez die Faust gegen das linke Ohr. Suarez’ Kopf wurde zurückgerissen, und er stöhnte auf vor Schmerz. Der üppige Duft von Pflanzen und lehmiger Erde strömte in den Wagen herein.
»Verdammt, du hast mir schon die Eingeweide rausgerissen«, sagte Suarez. »Was willst du denn noch?«
»Du machst es dir selbst schwer.« Bourne schlug erneut zu, und der Kommandant begann zu würgen. Er beugte sich vor, den Kopf zwischen den Knien. Bourne zog ihn am Kragen seines schweißnassen Hemdes hoch. »Sollen wir weitermachen?«
»Sie heißt Rosalita, Vegas nennt sie Rosie.« Er wischte sich mit dem Handrücken seiner gesunden Hand etwas Blut von den Lippen. »Sie lebt seit … ich glaube, seit fünf Jahren bei ihm.«
»Warum?«
Suarez’ Augen funkelten. »Woher zum Teufel …« Seine Stimme verebbte. »Nach dem, was ich gehört habe, hat Vegas sie vor einem Ozelot gerettet – einem Weibchen, das gerade ein Junges bekommen hat. Die Katze hat sie angefallen und ganz schön zugerichtet. Angeblich hat Vegas sie schreien gehört und das Tier erschossen. Er trug Rosie zu sich nach Hause und kümmerte sich um sie. Und seither kümmert sie sich um ihn, soweit ich weiß.«
»Hast du sie schon mal gesehen?«
»Wen, Rosie? Nein, nie. Warum?«
»Ich frage mich, warum sie nie von ihm schwanger wurde.«
Suarez schwieg einige Augenblicke. Vor ihnen türmten sich dunkle Gewitterwolken auf. Die Luft war drückend schwül. Plötzlich zuckte ein Blitz über den Himmel, und nach wenigen Augenblicken wurde die Stille von einem mächtigen Donnergrollen zerrissen.
»Das wird ein Mordsgewitter«, sagte Suarez, lehnte den Kopf zurück und schloss die Augen.
Schon rollten die ersten fetten Tropfen über die Windschutzscheibe. Und zwei Sekunden später trommelte der Regen auf das Autodach.
»Es gibt eine Antwort auf meine Frage«, sagte Bourne. »Ich will sie hören.«
Suarez schlug die Augen auf und wandte sich Bourne zu. »Ich hab mal gehört, dass hinter dem Haus ein Grab ist. Ein sehr kleines.«
Bourne umfasste das Lenkrad mit beiden Händen. »Wie lange hat das Baby gelebt?«
»Angeblich neun Tage.«
»Junge oder Mädchen?«
»Ich glaube, ein Junge.«
Das Leben konnte so flüchtig sein, dachte Bourne. Neun Tage war so gut wie kein Leben. Aber für Estevan Vegas und Rosie musste es alles gewesen sein. Es musste ihnen unendlich viel bedeutet haben.
Er legte den Gang
Weitere Kostenlose Bücher