Der Bourne Befehl
Dingen, die noch zu erledigen waren, sogar Erinnerungen an Geburtstage und Jubiläen. Absolut nichts, was irgendwie von Interesse war. Marks stand von seinem Computer auf, stemmte die Hände in den Rücken und streckte sich. Dann ging er hinaus, um seine schmerzende Blase zu entleeren. Peter dachte gern beim Pinkeln nach. Einige seiner besten Ideen waren ihm dabei gekommen. Das körperliche Gefühl der Erleichterung setzte irgendetwas in seinem Gehirn frei, das sich konstruktiv nutzen ließ.
Er starrte an die Wand vor ihm. Seine Augen wanderten über die vielen kleinen Risse im Verputz und fanden darin alle möglichen Muster, so als wären es Wolken, die über den Himmel zogen. Nur waren diese Formen unveränderlich. Einige davon waren ihm schon richtig vertraut geworden. Da war der »Brüllende Löwe«, der »Junge mit den Luftballons«, das »Boxende Känguru«, der »Alte Mann mit den langen Ohrläppchen«. Und dann war da »Houdini«, der Mann, der – so sah es jedenfalls Peter – ein Schloss um die Taille trug.
»Großer Gott!«, rief er plötzlich aus.
Rasch zog er den Reißverschluss hoch, wusch seine Hände und hastete zu seinem Computer zurück. Jetzt ging er die Ordner nicht mehr der Reihe nach durch, sondern scrollte nach unten und suchte nach einer elektronisch verschlüsselten Datei.
Und wirklich, da war eine ganz unten im Verzeichnis. Als das Passwort verlangt wurde, tippte er »Server« ein. Nichts passierte, was ihn jedoch nicht überraschte. Es wäre außerordentlich dumm von Hendricks gewesen, zweimal dasselbe Passwort zu benutzen.
Peter drehte einen Bleistift zwischen den Zähnen, lehnte sich zurück und dachte nach. Was würde Hendricks wählen, um diese Datei zu sichern? Er versuchte es mit seinem Geburtsdatum, dem Tag, an dem er zum Verteidigungsminister ernannt worden war, mit seiner Adresse. Nada.
Er saß da und überlegte, bis irgendwann der Bildschirmschoner erschien. Vor sich sah er das Gesicht einer schönen Frau mit grünen Augen, hohen Wangenknochen und einem offenen Lächeln. Nach fünfzehn Sekunden verschwand das Bild und machte einem anderen Foto derselben Frau Platz, diesmal zusammen mit Hendricks. Sie standen Hand in Hand auf einer Brücke in Venedig. Die Frau war Amanda, Hendricks’ dritte Frau. Sie war vor fünf Jahren verstorben. Wieder wechselte die Szene, diesmal war Amanda im Abendkleid auf der Terrasse einer prächtigen Villa zu sehen.
Idiot! , dachte Peter und schlug sich mit der Hand auf die Stirn. Er tippte »Amanda« ein.
Sesam, öffne dich. Er war drin!
Die Datei enthielt zwei lange Absätze und einen kurzen Zusatz. Bei den langen Absätzen schien es sich um Notizen zu handeln, die Hendricks offenbar nach einer Sitzung im Oval Office niedergeschrieben hatte, an der außer dem Präsidenten noch General Marshall, der Stabschef im Pentagon, Mike Holmes, der Nationale Sicherheitsberater, und ein gewisser Roy FitzWilliams teilgenommen hatten. Peter erinnerte sich sofort wieder an das Gespräch zwischen Hendricks und Danziger in der Folger-Bibliothek, das er teilweise mitgehört hatte. »Wir haben ausgemacht, dass wir uns nie in Ihrem Büro treffen werden«, hatte sein Chef gesagt, »aus genau dem gleichen Grund, warum Sie nicht zu der Sitzung ins Oval Office eingeladen wurden.«
Peter las, dass es bei der Sitzung um die enorme strategische Bedeutung der seltenen Erden gegangen war. Der Präsident hatte beschlossen, eine Task Force aus verschiedenen Behörden zusammenzustellen, die den Codenamen »Samaritan« trug – mit dem Zweck, den Abbau der seltenen Erden zu schützen. Offensichtlich hatte der Präsident Hendricks mit der Leitung der Gruppe betraut und diesem Projekt höchste Priorität eingeräumt.
Als Peter am Ende des zweiten Absatzes angelangt war, fragte er sich erneut, warum sein Chef ihn und Soraya nicht selbst eingeweiht hatte, als sein Blick auf den kurzen Zusatz fiel. Er erschrak fast, als er erkannte, dass dieser Teil an ihn gerichtet war:
»Peter, ich weiß, dass Sie das jetzt lesen; Sie sind neugieriger als ein Schimpanse. Dieser FitzWilliams hat irgendetwas an sich, das mich beunruhigt. Ich kann nicht sagen, was es ist, und deshalb möchte ich, dass Sie ihn sich näher ansehen. Und das vollkommen unauffällig und inoffiziell. Der Präsident hat uns mit Nachdruck darauf hingewiesen, welche Konsequenzen es hat, wenn nicht alle relevanten Kräfte in den Dienst von Samaritan gestellt werden. Die Arbeit, die ich Ihnen hier übertrage, bewegt sich
Weitere Kostenlose Bücher