Der Brander
schüchternen Seekadetten.
Er erhob sich und trat vor den Spiegel, der über seinem Schreibpult hing. Schließlich war er um ein Jahr älter geworden. Die Strähne, die über sein rechtes Auge fiel und die tiefe Narbe verdeckte, war zwar noch rabenschwarz, aber trotzdem argwöhnte er, daß irgendwo graue Haare sein mußten. Er zuckte die Schultern. Immerhin war er der jüngste Vizeadmiral der britischen Marine – wenn man von Old Nel absah, natürlich.
Aber auch das war ihm kein Trost. Er hatte 46 Jahre auf dem Buckel und eine um zehn Jahre jüngere Frau. Angenommen… Fast dankbar fuhr Bolitho herum, als Keens Eintreten ihn aus seinen Gedanken riß.
»Nehmen Sie sich Kaffee, Val, wenn…« Jetzt fiel ihm Keens grimmige Miene auf, und er fragte: »Probleme?«
Keen nickte. »Der Ausguck hat Wrackteile gesichtet, Sir, in Nordost«, berichtete er. »Wahrscheinlich ein Opfer des letzten Sturms.«
»Möglich.« Bolitho schlüpfte in seinen ausgeblichenen Dienstrock.
»Doch nicht die Kurierbrigg, die vor uns ausgelaufen ist?«
»Nein, Sir. Soweit könnte sie nicht getrieben sein.« Gespannt beobachtete Keen seinen Admiral. »Wenn wir über Stag gehen, um die Wrackteile zu untersuchen, verlieren wir wertvolle Zeit, Sir.«
Bolitho biß sich auf die Lippen. Er hatte schon einmal ein treibendes Boot gefunden, in dem nur noch ein Mann am Leben gewesen war, umgeben von lauter Leichen. Auch dachte er an den kleinen Evans in seinem Kutter, mit Verwundeten und Toten als Bordkameraden. Wie fühlte man sich als letzter Überlebender?
Er sagte: »Es gibt immer noch eine Hoffnung, Val. Ändern Sie Kurs und lassen Sie ein Boot aussetzen, wenn wir nahe genug sind.«
Eine Stunde später, als
Achates
unter verringerter Segelfläche unruhig hoch am Wind lag, pullte das große Seitenboot hastig auf die Stelle zu, wo ein Teppich dunkler Wrackteile im Wasser trieb.
Bolitho stand mit einem Teleskop auf dem Hüttendeck und studierte die kläglichen Überreste, auf die
Achates’
Bugspriet zeigte. Ein großes Schiff konnte es nicht gewesen sein, überlegte er. Wahrscheinlich hatte eine von achtern kommende Monstersee sein ungeschütztes Heck so unter Wassermassen begraben, daß es sich nicht mehr aufrichten konnte.
Keen ließ sein Glas sinken. »Dort ist ein Boot, Sir!«
Bolitho schwenkte sein Fernrohr in die angezeigte Richtung und starrte zu dem halb überspülten, mit Schlagseite im Wasser liegenden Ding hinüber, das einst eine Barkasse gewesen war.
»Mit Überlebenden«, rief Keen. »Zwei jedenfalls.«
Leutnant Scott, der
Achates’
Seitenboot befehligte, trieb seine Rudergänger bereits zu noch größerer Anstrengung an; auch er hatte die Schiffbrüchigen gesichtet.
Bolitho hörte Tyrrells Holzbein auf den Planken hinter sich und fragte: »Was halten Sie davon, Jethro?«
Tyrrell mußte keinen Augenblick überlegen. »Das ist ein Franzose.
Oder war jedenfalls einer.«
Keen richtete sein Glas aus und sagte erregt: »Sie haben recht! Und außerdem war’s kein Handelsschiff.«
Bolitho sah den Arzt Tuson mit seinen Gehilfen an der Eingangspforte warten, wo ein Flaschenzug aufgeriggt worden war, mit dem die Schiffbrüchigen an Bord gehievt werden sollten. »Wer spricht von uns am besten französisch?« fragte er.
Keen zögerte keinen Augenblick. »Mr. Mansel, der Zahlmeister. Er war vor dem Krieg Weinhändler.«
Bolitho mußte lächeln. Er hatte es anders im Gedächtnis, nämlich daß Mansel Schmuggler gewesen war.
»Gut, er soll sich bereithalten. Vielleicht erfahren wir, was hier passiert ist.«
Insgesamt retteten sie zehn Überlebende. Der wilde Seegang hatte sie so lange geschunden und herumgestoßen, daß sie – fast blind und halb bewußtlos – so weit von Land schon jede Hoffnung auf Rettung aufgegeben hatten. Ihr Schiff war die Brigg
La Prudente
gewesen, unterwegs von Lorient in Richtung Martinique. Eine See hatte ihren Kommandanten über Bord gerissen; der Erste hatte es zwar noch geschafft, ein Boot auszusetzen, war aber dann von einem herabstürzenden Wrackteil erschlagen worden. Der Tote lag noch im Boot, sein Gesicht leuchtete gespenstisch weiß aus dem Wasser, das schon fast bis zum Dollbord stand.
Der Bootsmann rief: »Soll ich es treiben lassen, Sir?«
Aber Leutnant Scott griff nach einem Bootshaken und zog den toten Leutnant heran.
Die Schiffbrüchigen mochten zu benommen und erschöpft gewesen sein, als daß sie ihren toten Offizier hätten über Bord werfen können. Bolitho sah zu, wie man sie nun
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