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Der Brennende Salamander

Der Brennende Salamander

Titel: Der Brennende Salamander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bayer
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gefüttert wurden.
    Ich legte die Mappe mit meinen Rötelzeichnungen von Jerusalem beiseite, stieg in mein Bett und studierte diese Aufzeichnungen von einst. Mit großem Stolz hatte ich sie damals gemacht, stolz daß ich soviel wußte. Und wenn man so will, hatte ich auch alles aufgeschrieben, um im weiteren Sinne zu überleben.
    Ich gehörte damals zu denjenigen, die für die Seidenraupen ›gebraucht‹ wurden, für jene Tiere, denen wir letztendlich verdankten, daß wir es so gut hatten. Zumindest wurde uns dies des öfteren vorgehalten. Wenn wir im Ospedale irgendwie aufsässig oder unordentlich waren, machten uns unsere Erzieher sehr rasch darauf aufmerksam, daß wir eine Erziehung erhielten, die nicht jeder in dieser Stadt bekam. In dieser reichen Stadt, die die schönste der Welt sein sollte, auch wenn dies noch andere Städte im Land, wie zum Beispiel Venedig, in Anspruch nahmen.
    Die meisten von uns Jungen sind daher später in die Fußstapfen ihrer Gönner getreten und im Seidenhandel geblieben. Mich hatte man zu der Aufzucht der Raupen beordert, weil irgendwer der Meinung war, ich könne gut mit Tieren umgehen. Ein Gerücht, das lediglich auf der Tatsache beruhte, daß ich einmal eine mit Steinen beschwerte Katze aus dem Arno gerettet hatte, eine gettatella gewissermaßen, eine weggeworfene Katze, die ich dann heimlich mit einer Flasche großzog, weil sie mich an mein eigenes Schicksal erinnerte. Ich konnte mich damals schlecht weigern, ich wußte, daß wir dankbar zu sein hatten. Bis zu unserem achtzehnten Lebensjahr brauchten wir uns um nichts zu kümmern, bekamen zu essen, zu trinken, Kleider, eine Schlafstätte; es mangelte uns wirklich an nichts, wenn man einmal davon absieht, daß die, die für uns sorgten, nicht unsere Eltern waren. Dafür waren die in der Arte della seta vereinten Seidenhändler unserer Stadt von der Signoria aufgefordert, sich um die gettatelli zu kümmern, und sie stifteten für jeden Meter Seide, den sie verkauften, zwei Lire. Dafür hatten sie verständlicherweise auch ein Anrecht darauf, sich unser zu bedienen, was heißt, daß wir in den meisten Fällen nicht gefragt wurden, wie wir unser weiteres Leben gestalten wollten – wir wurden irgendwann einfach ›übernommen‹, eingegliedert in den Prozeß der Arbeit wie Gegenstände, die herumliegen und darauf warten, daß jemand sie gebraucht.
    So wurde ich also ein Raupenkot Wegmacher, wie einer meiner Bettnachbarn im Ospedale mich verspottete. Eine Einstellung, die er gut vertreten konnte, da er sich frühzeitig für den Seemannsberuf entschieden und das Glück hatte, daß man ihn auch sofort anheuerte.
    Ich arbeitete also zunächst in einer Halle des Messer Orelli und sollte später ein Seidenwirker werden, was ganz gewiß ein ehrenhafter Beruf gewesen wäre. Ich freute mich sogar zunächst auf diese Laufbahn, bis mir dann klar wurde, daß dies niemals ein Beruf für mich sein konnte – aber das habe ich bereits erzählt.
    Zu jener Zeit ging Rocco schon bei einem Maler in die Lehre, und ich sehnte mich danach, mit Farben zu tun zu haben. Aber vorerst faszinierte mich die Arbeit bei den Raupen, obwohl ich kaum hätte sagen können, weshalb. Erst nachdem ich im Bett diese Blätter wieder gelesen hatte, wurde mir klar, warum mir diese Tätigkeit damals so wichtig gewesen war. Sie hat mir wohl vor allem geholfen, mich mit dem Makel der Weggeworfenen auseinanderzusetzen, den ich damals auf alles und jedes übertrug.
    23. MÄRZ
    Sie sind ausgeschlüpft, heute morgen.
    Ich hatte das vermutet und mich frühzeitig in der Halle eingefunden. (So als handele es sich um die Geburt eines Kalbes oder eines Pferdes: Ich setze diesen Satz in Klammern, weil er Uneingeweihte gewiß seltsam anmuten muß.)
    Ich war auch bereits in aller Frühe in der Maulbeerplantage gewesen, um frische Blätter zu schneiden, die nun für vier Wochen lang die Nahrung dieser Raupen sein würden. Ich habe die Blätter in Körben herbeigeschleppt, da an diesem Tag kein Tragtier zur Verfügung stand, dem ich die Last hätte aufbürden können. Ich habe die Blätter dann mit einem Hackgerät zerkleinert, in winzige Teilchen, da die Raupen mit ihren kleinen Kiefern noch nicht in der Lage sind, die Rippen der Blätter zu zerbeißen; sie wollen alles mehr oder weniger als Brei, so wie man den Säuglingen kein festes Essen vorsetzt.
    Die Eier kann man übrigens auf dem Markt kaufen, sie werden nach Unzen berechnet und brauchen eine ganz bestimmte Wärme, damit die

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