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Der Brennende Salamander

Der Brennende Salamander

Titel: Der Brennende Salamander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bayer
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Raupen ausschlüpfen. In manchen Gegenden der Toskana, erzählt man mir, herrscht noch immer der Brauch, daß man die Eier in Säckchen einnäht und den Frauen zum Ausbrüten zwischen die Brüste legt.
    Die soeben geschlüpften Winzlinge wiegen fast gar nichts, und es ist kaum vorstellbar, daß sie sich innerhalb von vier Wochen zu gefräßigen, fetten Raupen entwickeln, die man kaum satt bekommen kann und deren Gewicht sich achttausendfach vermehrt.
    Jetzt sehen sie noch hilflos aus, krabbeln verloren zwischen dem Blattmus herum, das auf festem Papier in langen Gestellen, die bis zur Decke des Raumes emporreichen, ausgebreitet ist. Ihre Farbe ist nahezu schwarz, und ihre Körper sind stark behaart.
    Ich ertappe mich dabei, daß ich eine starke Zuneigung zu diesen nicht eben schönen Lebewesen entwickle, ich will ihnen Vater und Mutter zugleich sein.
    28. MÄRZ
    Heute, nach fünf Tagen, die erste Häutung: Die Raupen hängen gekrümmt an einem dünnen Faden einen Tag lang mit dem Kopf nach unten an einem Reisigästchen und häuten sich. Als ich sie zum erstenmal so hängen sah, bekam ich einen gelinden Schreck, da ich annahm, sie seien tot. Am nächsten Tag jedoch fraßen sie dann mit einer Gier sondergleichen. Ich gehe wieder hinaus in die Plantage und hole ihr Futter, frisch wollen sie es und nach wie vor klein gehackt.
    Noch ist die dunkle Farbe der Raupen nicht ganz verschwunden, noch haben sie die ursprüngliche Behaarung. Aber inzwischen kann man schon deutlich ihre Punktaugen sehen, und wenn sie sich mit ihren Bauchfüßen und Brustbeinen kriechend fortbewegen, atmen sie sichtbar die Luft aus und ein. Daß sie ein Herz haben, das sich durch den ganzen Körper hindurchzieht, hat mich sehr beeindruckt. Dies erfuhr ich von einem der unseren, der einmal ein chirurgio für Tiere werden möchte.
    2. APRIL
    Heute die zweite Häutung: wieder ein Tag Schlaf und dann wieder das große Fressen. Wir, die mit dem Füttern der Raupen beschäftigt sind – es sind weitgehend Frauen –, haben mehr als zu tun, die gewaltigen Mengen an Futter herbeizuschleppen. Und ohne das Maultier, das uns bei unserer Arbeit hilft, wäre es kaum zu leisten.
    Die Raupen sind nun einen halben Daumen groß, die Menge des Kots, den sie unter sich lassen, wächst. Ich ziehe die Papierunterlage unter den Tieren heraus, um den Kot zu beseitigen, die Raupen fallen dabei auf die darunterliegende Unterlage, die bereits mit frischem Futter versehen ist.
    7. APRIL
    Inzwischen haben sich die Raupen zum drittenmal gehäutet. Man sieht ihre Kiefer wachsen und ihre Punktaugen werden immer größer. Das Horn, das sie auf dem zweitletzten Ring ihres Körpers tragen, ragt schon einen halben Daumennagel hoch. Wozu es dient, weiß ich nicht. Auch meine Amme, der ich als kleines Kind bei dieser Arbeit helfen mußte, wußte es nicht.
    12. APRIL
    Die letzte Häutung vor der Verpuppung, die vierte. In den nächsten Tagen werden die Raupen genau doppelt soviel fressen als bisher insgesamt.
    Sie sind jetzt Lebewesen, die Aufmerksamkeit erzwingen, und kein undeutliches Gewimmel mehr, das zu Beginn zwischen den zerkleinerten Blättern kaum auszumachen war. Sie sind inzwischen sozusagen Individuen mit winzigen, für den Außenstehenden kaum merkbaren Unterschieden.
    Vermutlich war es genau dieses Stadium der Raupen, das mich auf eine Idee brachte, die mir im Ospedale einmal mehr den Vorwurf der Verrücktheit eintragen wird.
    Ich hatte in dem Schuppen hinter der Halle auf einem Gerümpelhaufen einen kleinen, zerbrochenen Holzkäfig gefunden, in dem wohl einmal irgendein Tier gefangengehalten worden war. Ich nahm den Käfig mit und reparierte ihn.
    Heute nahm ich einige Raupen, die mir besonders klein erschienen – vielleicht weil sie nicht rasch genug an das Futter herankamen, da ihre Kiefer beschädigt waren oder sie sonst irgendeinen Makel trugen –, und setzte sie in den Käfig. Bald entdeckte ich eine, deren Horn mir verstümmelt schien, eine andere hatte eine schmutzige Färbung, die sie von den übrigen inzwischen weißen Raupen unterschied, und eine dritte wartete mit teilweise zusammengewachsenen Punktaugen auf, so daß ich annahm, sie könne nicht gut sehen. (Wobei ich natürlich wußte, daß sie alle nicht gut sehen konnten, und ganz gewiß nicht erwartete, daß auch nur eine von ihnen so etwas wie einen Ambrogio Innocente erkennen würde.)
    Und dann trieb ich meine Verrücktheit noch eine Stufe höher: Ich gab meinen Käfigraupen Namen. Von jetzt an waren

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