Der Brennende Salamander
sie nicht mehr namenlos wie die gettatelli, von jetzt an hießen sie Kurzhorn, Schmutzgesicht, Falschauge. Und selbstverständlich habe ich mit dieser seltsamen Arche Noah, die ich mir da in meinem Käfig zusammengeholt habe, etwas ganz Bestimmtes vor.
17. APRIL
Die Raupen haben das letzte Stadium erreicht. Ihre Größe gleicht inzwischen der Länge eines mittleren Fingers.
Es ist an der Zeit, die Reisigbündel vorzubereiten, an denen sie ihren Kokon an einem dünnen Faden festmachen können. Und dann tanzen sie.
Ein Vorgang, der mich jedesmal von neuem fasziniert. Die Raupen bewegen sich mit ungeheurer Geschwindigkeit vor und zurück und zurück und vor, so daß es wirklich den Anschein hat, als sei dies ein Tanz. Ein ungewöhnlicher ist es gewiß: ihr Todestanz.
Puppenmörder, hat mich mein Bettnachbar neulich verspottet. Macht dir diese Arbeit eigentlich Spaß?
Ich unterließ es, ihn darüber aufzuklären, daß es nicht die Puppensind, die getötet werden.
20. APRIL
Die Verpuppung hat drei Tage gedauert, nun ist sie vollendet: Die Raupen sind jetzt unseren Augen entzogen. Was sie in ihrem Kokon machen, sehen wir nicht. Wir wissen lediglich, daß dort im ›großen Schlaf‹ die vollständige Verwandlung der Raupe in einen Schmetterling, die Metamorphose, stattfindet.
Die Kokons hängen wie seltsame Früchte an ihren Ästchen und warten darauf, gepflückt zu werden.
Wir säubern die Hallen, bereiten alles vor für die nächste Arbeit, für jene, die ich nicht verrichten möchte, aber verrichten muß. Und Trost bietet mir nur die Tatsache, daß ich Falschauge, Schmutzgesicht und Kurzhorn vor diesem Schicksal bewahren konnte, das den anderen nun bevorsteht.
Hätte ich vor fünfzig Jahren gelebt, wäre mir die Arbeit, die nun folgt, erspart geblieben. Damals gab es weder Maulbeerbäume noch Seidenraupenzucht in unserer Gegend. Die Rohseide und das Seidengarn kamen aus China, aber bis die kostbare Fracht am Arno eintraf, mühsam von Maultieren hergetragen, war der Preis durch die hohen Transportkosten und die verschiedenen Zölle ins Unermeßliche gestiegen. Deshalb ging man zur Eigenproduktion über, pflanzte Maulbeerbäume auf dem Land, und die Leute von Florenz, Lucca und Siena stellten ihre eigene Seide her. Sehr zum Zorn der Venezianer übrigens, denen dadurch eine ganze Reihe von Vorteilen verlorenging.
8. MAI
Heute ist der Tag, an dem wir die Öfen heizen. Sie befinden sich unter langen Tischen, in die kleine Becken zum Erhitzen der Kokons eingebaut sind.
Wir werfen die Kokons in das Wasser und lassen sie eine Stunde lang vor sich hin köcheln. Wir warten, bis der Tod der Schmetterlinge im Inneren eingetreten ist.
Im Ospedale lachen sie mich aus, wenn ich diesen Satz sage: der Tod eingetreten ist. Sie verspotten mich ob meiner Sentimentalität.
Über all das kann ich mit niemandem reden, ich kann es nur diesen Seiten anvertrauen, daß ich leide, doppelt leide, wenn ich dann zuschauen muß, wie die Schmetterlinge den Hühnern zum Fraß vorgeworfen werden.
Unmittelbar nach dem Sturz ins kochende Wasser beginnt die Weiterverarbeitung der Kokons: Die Frauen sitzen seitlich neben den Tischen, was nicht sehr bequem ist, und bewegen die Kokons in dem heißen Wasserbad hin und her, bis sich die Fäden voneinander lösen und sie sieben beziehungsweise vierzehn Fadenanfänge zu einem dickeren Faden zusammenzwirnen können. Einen Platz weiter sitzt eine andere Frau, die dann mit dem Abhaspeln der Fäden beginnt, die später gesponnen werden. Ein solcher Faden ist zwischen sechshundert und dreitausend Ellen lang, wobei Anfang und Ende des Fadens nicht genutzt werden können.
Meine Arche Noah habe ich mit ins Ospedale genommen und unter meinem Bett versteckt – wo sie natürlich Leonello einen Tag später entdeckte, durch Zufall. Ich habe ihn mit einem Stück Seide zum Schweigen gebracht, gibt es doch kaum Gefälligkeiten in diesem Haus, für die man nicht bezahlen muß.
Die Kokons setze ich nach etwa vierzehn Tagen irgendwo am Ufer des Arno aus. Auch wenn die ausschlüpfenden Schmetterlinge nicht fliegen können – ein Vorwurf, der mir den meisten Spott einbringt –, habe ich sie dennoch vor dem schrecklichen Hitzetod gerettet.
Er ist verrückt, hat mein lästernder Bettnachbar bei der Bittprozession am 25. April, die den Segen Gottes für die Raupen herbeifleht, kopfschüttelnd gesagt. So einen wie ihn sollte man nicht in diesem Haus dulden, in dem unser aller Wohlergehen allein von diesen Tieren
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