Der Brennende Salamander
wenn ich nicht leugnen will, daß es dies natürlich geben mag.
In dieser Nacht also, der Nacht meiner Niederlage, fliehe ich in die Geborgenheit meiner Kindheit, verkörpert von meiner Truhe, meinem cassone . Er ist Teil meines Lebens, ein kostbarer Behälter und eigentlich meiner völlig unwürdig: Es handelt sich um einen stuckierten cassone , der eine wunderschöne Bemalung zeigt, einen farbenprächtigen Triumphzug, der rings um die Truhe führt. Ihr Inneres ist mit Damast ausgeschlagen und hat einzelne Fächer für die unterschiedlichsten Dinge. Der cassone war ursprünglich eine Hochzeitstruhe. Aber als der Bräutigam die Braut – es war die Tochter eines Kastenmachers in der Via San Giovanni, für den ich gelegentlich arbeitete – sitzenließ, hatte sie keine Verwendung mehr für diese Truhe. Genaugenommen drohte ihr die Zerstörung, das Beil war bereits in der Hand der wild erzürnten Braut. Ich entriß es ihr und versprach, die Truhe für immer aus ihren Augen zu schaffen.
Daniele, dem ich davon erzählte, schlug ein Kreuz und sagte, es klebe Unheil an dieser Truhe. Aber da ich nur mäßig abergläubisch bin, störte mich ihre Geschichte nie.
Ich besaß nun also etwas, das nur mir gehörte, etwas, das ich mir nie hätte kaufen können, weil dafür meine wenigen gesparten Florin nie gereicht hätten. In diese Truhe legte ich meine Schätze, Dinge, die ich sammelte, die mir zufielen, Wertvolles und weniger Wertvolles. Einen kleinen silbernen Suppennapf etwa, dessen Emailboden einst das Lamm Gottes zierte. Da das Tier längst weder Kopf noch Schwanz besaß, wurde der Napf damals weggeworfen, doch das Silber putzte ich immer wieder. Einen halben blinden Spiegel, weil ich verrückterweise blinde Spiegel mehr liebte, als solche, in denen man sich sehen kann. Die blinden erregten die Phantasie, ich konnte mir tausend Geschichten vorstellen, die hinter der blinden Fläche verborgen waren. Spiegel, in denen man sich betrachtete, waren aus meiner Sicht ohnehin überflüssig, da es an mir nichts zu bewundern gab, was mich eitel machen hätte können. Dann ein Amulett, ein winziges Gorgonenhaupt aus Koralle gegen den bösen Blick, dem jedoch ein Auge fehlte, so daß ich bezweifelte, ob es noch wirksam war. Im Zwischenboden eines Hauses, das abgerissen wurde, entdeckte ich die Hälfte eines römischen Ziegelsteins, der seiner Markierung nach in die Zeit Caligula gehören muß. Ein paar ziemlich zerdrückte Seiten eines gedruckten Buches mit Miniaturen aus dem Orient. Ein altes Zunftzeichen der Bäcker mit der Florentiner Lilie neben dem Namenszug, das früher jedem Brot aufgedruckt werden mußte. Zeichnungen, für die ich im Augenblick keine Verwendung hatte. Und ein gigantisches Seidentuch, das aus Versehen in den falschen Farbbottich getaucht wurde und daher aufgrund seiner chaotischen Farbmischung, die ich jedoch äußerst reizvoll fand, nicht mehr zum Verkauf angeboten werdendurfte.
Ich griff also nach meinem cassone , zog ihn unter dem Bett hervor und wischteden Staub von seinemDeckel. Manchmal gebärde ich mich schlimmer als eine Hausfrau und nehme den Pinsel, um das feine Stuckrelief gründlich zu säubern.
Ich wußte nie vorweg, was ich suchte, wenn ich die Truhe öffnete. Ich ging spielerisch und wahllos vor, wie ein Junge, der von den Wellen glatt geschliffene bunte Steine aus dem Meer sammelt.
Diesmal allerdings wußte ich genau, was ich finden wollte: Ich räumte den Korb mit den bunten Seidenresten zur Seite, legte die übrigen Kostbarkeiten, die alle einzeln in Tücher gewickelt waren, neben die Truhe und nahm dann meine Rötelzeichnungen von Jerusalem heraus, von denen ich eine Rocco schenken wollte, weil ich wußte, daß er sich freuen würde. Aber bevor ich noch eine Auswahl treffen konnte, stieß ich auf ein Bündel mit engbeschriebenen Blättern, an die ich mich kaum mehr erinnerte. Ich mußte bei der Niederschrift dreizehn oder vierzehn gewesen sein, und ich stellte mit Befremden fest, daß sich meine Handschrift seither kaum verändert hatte – sie war nach wie vor kaum besser denn eine Kinderschrift. Unausgeglichen und krakelig, spottete Lazzaro neulich einmal, als hättest du eine Kanne Bier in einem Zug ausgetrunken.
Die Blätter waren ordentlich zusammengeheftet, sauber waren sie nicht. Fast konnte man ihnen ansehen, wo sie beschrieben worden waren: in einer Halle, in der Seidenraupen gehalten wurden. Die Seiten waren grün von zerdrückten Maulbeerblättern, mit denen die Raupen
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