Der Brenner und der liebe Gott
detektivische Halbschlaf. Weil er hat natürlich nicht tief geschlafen, nur halb geschlafen. Und mit der anderen Hälfte hat er das Haus und seinen eigenen Schlaf bewacht.
Jetzt musst du wissen, die besten Gedanken in seinem Leben sind dem Brenner noch immer im Halbschlaf gekommen. Das ist überhaupt ein großer Irrtum der Menschen, dass sie glauben, je wacher, je konzentrierter, je ausgeschlafener, um so besser für den Kopf. Weil genau so wie das zu helle Licht für die Augen schädlich ist, ist auch das zu wache Hirn gar nicht gut für die Gedanken. Und in Wahrheit ist ein Halbschlafender einem Wachen immer haushoch überlegen, gar keine Diskussion. Dem Wachen stehen ja beim Denken viel zu viele Gedanken im Weg herum, dem Schlafenden aber flüstert es der liebe Gott direkt ins Hirn. Nur ganz schlafen darfst du eben nicht, sonst hörst du ihn womöglich nicht.
Pass auf, im Halbschlaf ist dem Brenner aufgefallen, dass er bei der Lawine von Nachrichten eine Kleinigkeit übersehen hat. Weil Ort und Zeitpunkt für die Geldübergabe sind dem Knoll ja schon einen Tag vor der Entführung mitgeteilt worden!
Wie dann kurz vor neun ein alter Mann das Gartentor aufgemacht hat, war der Brenner längst hellwach. Die Helena hat der Alte nicht mitgehabt, und wie ein Entführer hat er auch nicht gewirkt, aber trotzdem zum Fürchten. Weil der typische Schrebergartenpensionist, wo du gar keine Entführung und keinen Mord als Draufgabe brauchst, sondern wo schon der Rentner als solcher vollauf genügt, sprich übergewichtige, hinkende, rasenmähende, zaunstreichende, grillende, fernsehende, politisierende, ächzende, unkrautjätende, autowaschende, unterhemdentragende, meinungäußernde, schwerhörige Bösartigkeit in Person.
Aber man soll nicht ungerecht sein. Weil gerade das Schwerhörige war ein riesiger Vorteil für den Brenner. Das Schwerhörige ein Vorteil und das Schwerschnaufende ein Vorteil. Weil das Schwerschnaufende hat den Schrebergärtner davon abgehalten, dass er sich, nachdem er in den Wohnraum hereingeschlurft ist, auch noch in den ersten Stock hinaufbemüht hat. Und das Schwerhörige hat bewirkt, dass der Brenner von oben fast jedes Wort verstanden hat, wie der Knoll um Punkt neun mit dem Geldkoffer und einem Begleiter gekommen ist.
»Eine Million?«, hat der Schwerhörige gebellt.
»Zählen Sie nach«, hat der Knoll in normaler Zimmerlautstärke geantwortet, aber der Brenner hat ihn trotzdem verstanden, weil wenn jemand das Erwartete sagt, dann verstehst du ihn leichter, auch aus einer gewissen Distanz. »Was sagst du?«, hat der Rentner gefragt, weil der hat den Knoll nicht einmal aus nächster Nähe verstanden. Möglich, dass diese Regel mit dem leichteren Verstehen des Erwarteten nur für »aus der Distanz« gilt, aber nicht für »schwerhörig und aus der Nähe«.
»Zählen Sie nach«, hat der Knoll gleich leise wie vorher gesagt, weil das war dem seine Stärke, der hat sich nicht von einem anderen die Spielregeln vorgeben lassen, sondern immer schön den anderen ein bisschen dorthin schieben, wo man ihn braucht.
Der Begleiter hat nichts gesagt, weil stiller Begleiter. »Tausend, zweitausend, dreitausend«, hat der Schrebergartenmann angefangen, und der Brenner hat sich gedacht, wenn der jetzt bis eine Million zählt, dann schlafe ich wieder ein.
»Zweiundsiebzigtausend«, hat der Schrebergartenchef gesagt und aufgehört. »Und wo sind die 672 Euro?«
Der Knoll hat entweder nichts gesagt oder so leise »Leck mich am Arsch«, dass weder der Brenner noch der Rentner es gehört hat.
»Ich rechne immer noch in Schilling, den Euro mache ich nicht mit«, hat der Alte gebrüllt. »Und eine Million sind immer noch 72672 Euro und nicht zweiundsiebzigtausend Euro geradeaus.«
»Solange Sie es mir nicht in alten Francs vorrechnen«, hat der Knoll staubtrocken gesagt, und in der ganzen Anspannung hat der Brenner aufpassen müssen, dass ihm kein Lacher auskommt.
»Genaue Rechnung, gute Freunde«, hat der rechthaberische Alte geschnauft.
»Wenn Sie alles so genau nehmen würden«, hat der Knoll gesagt, und noch ein paar Wörter, die der Brenner nicht verstanden hat, aber den Grant vom Knoll hat er trotzdem herausgehört.
»Wenn ich es genau nehmen würde, wären es sogar 72674 Euro und 40 Cent. Eigentlich 42 Cent, aber die zwei schenk ich dir, und die 40 schenk ich dir auch. Aber 672 Euro, das sind immerhin neu,ntausend Schilling, grob gerechnet. Genauer gesagt ... «
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