Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Brenner und der liebe Gott

Der Brenner und der liebe Gott

Titel: Der Brenner und der liebe Gott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
Vom Netzwerk:
passiert ist, hat der Brenner von oben immer noch nicht sehen können. Aber ich sag einmal so: Es hat genau so lange gedauert, wie man braucht, um einen vorsintflutlichen Taschenrechner aus der blauen Arbeitshose zu ziehen und 672 x 13,76 einzutippen.
    ». .. sind es 9246 Schilling, und die kann ich dir nicht einfach so schenken.«
    Den Knoll hat der Brenner jetzt ausgezeichnet verstanden, weil er hat laut und deutlich und auf einmal auch per Du gesagt:
    »Entweder du unterschreibst jetzt, oder du suchst dir einen anderen Trottel, der dir diese Baracke um den fünffachen Wert abkauft. Glaubst du, ich komm extra mit dem Notar zu dir, damit ich über 83 Cent diskutier!«
     
    »Was heißt fünffacher Wert«, hat der Schrebergartenrentner protestiert. »Angebot und Nachfrage!«
     
    Unverschämte Leute glauben ja immer, dass alle Leute so blöd sind, wie sie unverschämt sind. Und vielleicht hat den Brenner die Unverschämtheit von dem schwerhörigen Hausverkäufer ein bisschen angesteckt, weil er hat sich jetzt so weit auf das winzige Stiegenhaus hinausgetraut, dass er durch das morsche Geländer von oben auf die drei Köpfe hinuntergesehen hat. Aber interessant. Der Knoll Glatzkopf, der Notar schütteres Maushaar und ausgerechnet der Rentner volles weißes Haar. Dabei ist das noch ein junger Notar gewesen. Aber schon ganz mausige Haare! Und dem Knoll ist mitten auf dem Kopf die Haut ein bisschen abgeblättert. Der Brenner hat sich noch gedacht, es wundert ihn, dass der nicht besser aufpasst mit der Sonne und dass er ihn vielleicht darauf aufmerksam macht, wenn sich eine gute Gelegenheit ergibt.
     
    Der weißhaarige Rentner hat jetzt endlich unterschrieben. Weil ihm dürfte klar geworden sein, dass er die Geduld vom Knoll und vom Notar nicht überstrapazieren soll, und bevor der Käufer es sich noch anders überlegt, hat er seine drei Kreuze unter den Vertrag gesetzt und ist mit dem Geldkuvert abgezogen.
     
    Für die neugierige Nachbarin vom neuen Knoll-Anwesen muss das an diesem Morgen, neunundvierzig Stunden nach dem Verschwinden der Helena Kressdorf, ein interessanter Anblick gewesen sein. Zuerst ist der Rentner mit dem dicken Kuvert aus der Tür gehinkt und hat nicht einmal das Gartentor hinter sich zugeworfen. Und kurz danach ist ein Taxi vorgefahren, weil vorderste Schrebergartenreihe direkt an der Zufahrt, und der Notar mit dem Aktenkoffer ist in das Taxi gestiegen, und gleich nach dem Notar ist der Knoll hinaus und in seinen Volvo gestiegen, und eine halbe Minute darauf ist der Brenner aus dem Haus hinaus, Karawane Hilfsausdruck.
     
    Und wenn die Nachbarin ganz genau geschaut hätte, wäre ihr vielleicht sogar noch aufgefallen, dass der Brenner in seinem violetten Mondeo dem Knoll nachfährt, quasi Verfolgung. Aber sie hätte unmöglich erraten können, was der Brenner an diesem Tag noch alles erleben wird. Das hätte ja beim besten Willen nicht einmal der Brenner selber erraten. Und ich muss ganz ehrlich sagen, wenn er es erraten hätte, wäre er dem Knoll keinen Zentimeter nachgefahren. Weil da wäre der Brenner lieber im Schrebergartenhaus geblieben, hätte ein paar Vaterunser gebetet und sich in aller Ruhe einen Strick gesucht.
     
     

12
     
    Autofahren ist die schönste Erfindung, die der Mensch gemacht hat. Besonders, wenn du wen hast, den du verfolgen kannst. Weil dann ist es nicht so langweilig. Dem Brenner ist durch seine dauernden Blicke in den Rückspiegel erst richtig bewusst geworden, wie oft er bei seinen Fahrten geschaut hat, ob es der Helena gutgeht, ob sie was braucht, ob sie schläft, ob sie lächelt, ob sie gut sitzt, ob sie was trinken will, ob ihr der Teddybär hinuntergefallen ist, ob sie diskutieren möchte oder ob sie ihre Ruhe haben will.
     
    Und jetzt jedes Mal wieder keine Helena im Rückspiegel. Das hat dem Brenner so wehgetan, dass er sogar einmal einen Schrei abgelassen hat. Weil das ist einer der vielen Vorteile von einem Auto. Man kann in Ruhe Musik hören, man kann ohne Anstrengung die Natur genießen, und man kann einen Schrei ablassen, wenn man verzweifelt ist.
     
    Für das Verfolgen war es natürlich gut, dass der Blick vom Brenner im Rückspiegel so schmerzhaft ins Leere gestürzt ist. Weil dadurch um so empfindlicher für das, was er hinter dieser Leere gesehen hat. Und so aufmerksam wie der Brenner den Knoll hat überhaupt noch nie ein Detektiv einen Gauner aus dem Rückspiegel heraus verfolgt. Weil immer genug Abstand, und nur ganz klein im Heckfenster, dort, wo

Weitere Kostenlose Bücher