Der Brenner und der liebe Gott
dass ihm die verrückte Angst vor dem lieben Gott immer noch in den Knochen steckt. Jetzt wie hat er das bemerkt? Ob du es glaubst oder nicht, für eine Sekunde oder vielleicht auch nur für eine Hundertstelsekunde, von mir aus für eine Tausendstelsekunde, ist ihm die heisere Stimme, die der Satellit auf die Mailbox gesandt hat, wirklich wie eine Stimme aus dem Jenseits vorgekommen, hör zu: »Montag, neun Uhr früh. Eine Million und keine weiteren Verhandlungen.«
Und die Stimme hat einen Schrebergarten genannt, den der Brenner nicht gekannt hat. Aber eine alte Spaziergängerin hat ihm erklärt, dass er den ganzen Weg zurückgehen muss, weil die Kleingartensiedlung
Grünland
auf der anderen Seite vom Cafe Liliputbahn liegt, nur ein kleines Stück von der Umkehrschleife der Liliputbahn entfernt. Absolut korrekte Auskunft, und er hat die Siedlung
Grünland
dann auch auf der Orientierungstafel gefunden. Pass auf, die Siedlung liegt gleich hinter dem Happel-Stadion, wenn du von der Liliputbahn her denkst, oder hinter dem Radstadion, wenn du vom Babystrich her denkst. Am besten, du merkst dir die Adresse gleich, weil da ist der Brenner dann als Nächstes hingegangen: Prater-Schrebergarten
Grünland,
zweites Tor, erste Reihe, dritter Quergang links.
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Schrebergärten sind natürlich ein ganz eigenes Thema. Da ist schon viel darüber gesagt worden, weil allgemein bekannt, dass die Bäume und Sträucher so gut wachsen, weil eine Leiche immer noch der beste Dünger ist, den du finden kannst. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die sagen, in den Schrebergärten mehr Leichen als auf den Friedhöfen, aber die Sondermüllbelastung auf jeden Fall größer. Weil bei den normalen Friedhöfen nehmen sie den Verstorbenen doch die schlimmsten Sachen heraus, die Batterien von den Herzschrittmachern, die künstlichen Gelenke, die Zahnprothesen und Silikonsachen, damit das Grundwasser nicht zu sehr leiden muss. Und die Schrebergartenleichen werden meistens husch pfusch in aller Eile verscharrt, Batterien und alles drinnen. Den Pflanzen macht das komischerweise nichts aus, die gedeihen auf Teufel komm raus, aber langfristig, das Grundwasser muss es büßen.
Der Brenner hat ungefähr eine halbe Stunde gebraucht, bis er das richtige Tor gefunden hat, aber dafür nur eine halbe Minute, bis er im Haus drinnen war.
Dass er so leicht hineingekommen ist, war noch nicht unbedingt so ein schlechtes Zeichen, wo man vielleicht sagt, wenn das Schrebergartenhaus nicht besser versperrt ist, dann wird da auch nicht das Entführungsopfer zu finden sein. Da könnte ich dir Fälle noch und nöcher erzählen, wo Entführungsopfer in ganz normalen Häusern versteckt waren, ohne Stromfallen, ohne Selbstschuss, ohne alles. Bei einem zweijährigen Kind sowieso keine Diskussion, das muss kein Hochsicherheitstrakt sein, weil wichtig ist auf jeden Fall nur, dass niemand auf die Idee kommt, hier zu suchen.
Vorsichtig war der Brenner natürlich schon, weil in einer Schrebergartensiedlung fürchtest du als Fremder immer um dein Leben, da brauchst du gar keine Entführung als Draufgabe. Aber eben nicht in dem Sinn vorsichtig, dass er sich da mit der Glock in beiden Händen um den Türstock gewunden hätte vor lauter wichtig oder in einem weiten Bogen um die Sprengfalle ins Haus getanzt wäre wie bei der Tangoweltmeisterschaft. Erstens hat er sowieso keine Waffe dabei gehabt, und außerdem machst du in so einer Situation mit einer Waffe nur alles schlimmer, weil ohne Waffe kannst du dich schlimmstenfalls immer noch irgendwie herausreden, falls du dem Entführer in die Arme läufst.
Aber leider, im Wohnraum weder Entführer noch Helena. Sondern komplett verlassener Wohnraum. Selten in seinem Leben ist ihm eine Behausung so gottverlassen erschienen. Und man könnte ohne Übertreibung behaupten, dass diese gottverlassene Wochenendhölle den Brenner zu Tode deprimiert hat, wenn er sich nicht von vornherein in einer Stimmung befunden hätte, für die es eine sprunghafte Verbesserung gewesen wäre, wenn ihn etwas zu Tode deprimiert hätte.
Und die Küche auch gottverlassen. Und das Badezimmer auch gottverlassen. Und das winzige Mansardenzimmer im ersten Stock auch gottverlassen. Und das bisschen Keller auch gottverlassen. Das Wort »gottverlassen« hat sich regelrecht im Hirn vom Brenner eingegraben. Und da siehst du schon, dass der Wurm wieder in ihm genagt hat. Die Angst, der liebe Gott persönlich könnte es sein, der ihn hier bis neun Uhr früh
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