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Der Brenner und der liebe Gott

Der Brenner und der liebe Gott

Titel: Der Brenner und der liebe Gott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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Konzertscheinwerfer. Und wer weiß, vielleicht leuchtet der Jimi Hendrix auf den bunten Hippiefotos auch nur deshalb so außerirdisch, weil das Scheinwerferlicht sich in Millionen von unsichtbaren Festivalinsekten bricht, die den Jimi im Alter von siebenundzwanzig Jahren schon in Richtung Ausgang gelockt haben, ohne dass es jemand von den Zuschauern bemerkt hat.
    Aus der Sicht vom Brenner hat natürlich überhaupt nichts geleuchtet, sondern nur schwarze Wolken, die aus der Senkgrube aufgestiegen sind, weil so ist das in der physikalischen Welt, feste Stoffe, flüssige Stoffe, gasförmige Stoffe, und aus der Ferne hat es vielleicht schön geleuchtet und gefunkelt in den letzten Sonnenstrahlen, aber für den Brenner hat es ausgesehen, als würde die braune Soße in der Senkgrube sich von flüssigem Stoff in fliegenden Stoff verwandeln. Die Mückenschwärme sind aus der Senkgrube heraufgestiegen, aber nicht weitergezogen, sondern es sind einfach immer mehr geworden, je länger er in die Grube hineingestarrt und gehofft hat, dass ihm nicht schlecht wird.
    Er hat eine Mistgabel von der Hütte heruntergerissen und in der braunen Suppe herumgestochert, mit dem Stiel voraus, nicht mit der Gabel, obwohl man ganz ehrlich sagen muss, wenn da jemand unten liegt, ist es schon egal, Stiel oder Zinke. Aber es widerstrebt einem irgendwie, also rein innerlich, mit einer Mistgabel nach einem Menschen zu stochern, jetzt hat der Brenner die Mistgabel umgedreht und mit dem Stiel gestochert. Er hat gleich bemerkt, dass die Mistgabel zu kurz war und nicht bis zum Boden gereicht hat, aber wie er schon aufgeben und etwas Längeres suchen wollte, ist er doch auf etwas gestoßen, das sich verdächtig angefühlt hat, ein komischer Widerstand, halb fest, halb weich.
     
    Du kannst es dir jetzt schon denken, und ich lasse die grausigen Einzelheiten lieber weg. Ich sage nur, ohne die Tabletten hätte er spätestens jetzt den Verstand verloren. Obwohl die Leiche noch komplett bedeckt war mit mit mit. Er hat sie ja nicht richtig zu fassen gekriegt, sondern das musst du dir vorstellen, wie wenn einer mit der Mistgabel gegen ein schlammbedecktes Unterwasser-Ungeheuer kämpft. Und in dem Moment, wo der Brenner eingesehen hat, dass es nicht anders geht, wo er die Mistgabel doch umgedreht und die Leiche mit den Eisenzinken und mit seinem linken Schuh zum Grubenrand hergezwickt hat, wo ihm die Scheiße schon in seinen Schuh gesickert ist, hat er eine Stimme gehört.
     
    Die Stimme vom Jimi Hendrix. Der Brenner hat sein Handy aus seiner Hosentasche gezogen, und ob du es glaubst oder nicht: »Unbekannter Teilnehmer.« »Brenner?«
     
    Dass er den Anruf überhaupt angenommen hat, ist natürlich nur damit zu erklären, dass der Mensch in so einer Extremsituation alles mit sich in Zusammenhang bringt, quasi Mittelpunkt der Welt. Und es hätte ihn nicht gewundert, wenn am anderen Ende der Leitung der liebe Gott persönlich ins Telefon gelacht hätte, während er den Brenner aus seinem Versteck durchs Fernglas beobachtet hat.
    »Hier spricht Südtirol«, hat eine Frauenstimme ins Telefon gesagt.
     
    Der Brenner hat mindestens drei Sekunden gebraucht, bis er geschaltet hat. Wahrscheinlich weil er so zu kämpfen gehabt hat, dass die glitschige Leiche ihm nicht gleich wieder entgleitet. Mit der linken Hand hat er jetzt einfach in die stinkende Soße hineingegriffen, mit der rechten hat er telefoniert, aber er ist immer noch auf der Leitung gestanden. Obwohl die Stimme gesagt hat: »Hier spricht Südtirol«, und nicht: »Da ischt die Monika«, weil das wäre ja noch verzeihlich gewesen, wenn er sich da nicht ausgekannt hätte, oder sogar mehr als verzeihlich, verständlich wäre es gewesen, weil er hat ja gar nicht gewusst, dass die Südtirolerin Monika heißt. Aber sogar so, wo sie gesagt hat: »Hier spricht Südtirol«, hat er eine halbe Ewigkeit gebraucht.
     
    Dann hat den Brenner das größte Glücksgefühl seines ganzen Lebens überschwemmt. Aber nicht wegen der Südtirolerin. Sondern weil er in dem Moment begriffen hat, dass es keine Kinderleiche war. Du musst wissen, achtundfünfzig Stunden nach dem Verschwinden der Helena ist das Gesicht vom Knoll aus dem Schlamm herausgetropft.
    »Von der Tankstelle«, hat die Südtirolerin versucht, ihm auf die Sprünge zu helfen.
     
    Er hat den Knoll verzagt angeschaut, als könnte der ihm erklären, wie die Südtirolerin zu seiner Telefonnummer kommt.
     
    »Oder rufst du jeder Frau deine Telefonnummer nach?« Aber

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