Der Brenner und der liebe Gott
Beruhigung auch gesagt, mein Gott, Geschäftsfreund und so weiter. Aber wenn so eine Frage einmal an den Rand deines Bewusstseins gespült worden ist, dann wirst du sie nicht so schnell los, du schaust kurz weg, und dann schaust du wieder hin und: Ein bisschen komisch ist das schon, dass die dem Obersenatsrat ein SMS geschickt hat. Und wieder tust du die Frage weg, aber wenn sie wiederkommt, dann weißt du, dass du eine bessere Antwort brauchst.
Während der Brenner auf die Alm hinuntergeschaut hat, wo es immer noch ganz ruhig war, hat er überlegt, ob er einfach die Natalie anrufen und fragen soll. Oder sogar den Peinhaupt, weil der hat das im Verhör ja erwähnt, dass die arme Mutter ihren Mann zuerst nicht erreicht hat und dann nur über den Obersenatsrat. Gestern hat der Brenner sich nichts dabei gedacht, weil wenn du zu tief im Schuldgefühl badest, stellst du nicht ausgerechnet eine Frage, die die Mutter des Kindes betrifft. Und auch jetzt hat er die Frage weggeschoben, aber dann: Den Harry könnte ich fragen. Du musst wissen, der Harry war der Chauffeur vom Obersenatsrat Stachl, wahnsinnig fett, der war jahrelang Fahrer vom Wiener Bürgermeister, aber dann haben sie nicht mehr zu zweit in einem Auto Platz gehabt, ist er zum schlanken Obersenatsrat abkommandiert worden. Der Brenner hat sich mit dem Harry zwei-, dreimal auf der
Riesenland-
Baustelle unterhalten, ein gemütlicher Mensch, aber jetzt hat er ihn doch nicht angerufen. Er hat nämlich die Handynummer vom Harry nicht gehabt, und siehst du, da war gleich die Frage wieder, warum hat dann die Frau Doktor die Handynummer vom Obersenatsrat, wenn ich nicht einmal die vom Harry habe?
Ich weiß nicht, wie du zu so Sachen stehst wie Gedankenübertragung. Ich persönlich bin da total dagegen, es ist der reine Schwachsinn, wenn du mich fragst. Soll da über die Luftwellen oder wie etwas übertragen werden? Wie stellen sich das die Leute vor? Aber wenn ich mich jemals dazu überreden lasse, dass ich zumindest eine Sekunde lang daran glaube, dann in puncto: Der Brenner schaut auf die Alm hinunter, hat keine Ahnung, worüber der Knoll mit dem Kressdorf redet, und gerade jetzt fällt ihm diese Frage ein. Das ist schon. Da fängt man schon einmal zum Nachdenken an.
Im Nachhinein hat das dem Brenner natürlich auch zu denken gegeben. Aber jetzt hat er ja noch nicht wissen können, dass die beiden in der Almhütte gerade die Frage besprechen, die ihm durch den Kopf geht. Und er hat auch keine Zeit mehr gehabt, sich länger mit der Frage zu beschäftigen. Weil siebenundfünfzig Stunden nach dem Verschwinden der Helena schiebt auf einmal der schwarze Volvo rückwärts auf die Straße heraus und fährt ins Tal hinunter. Der Brenner hat erwartet, dass der Jeep auch bald wegfahren wird, aber nichts da, der Jeep hat sich nicht von der Stelle gerührt.
Dann ist dem Brenner das Schlimmste passiert, was einem Detektiv passieren kann. Er ist siebenundfünfzig Stunden nach dem Verschwinden des Mädchens ungeduldig geworden. Das ist wahnsinnig gefährlich in so einer Situation. Und wenn du als Detektiv die Ungeduld spürst, dann musst du erst recht zehnmal überprüfen, ob du dir nicht Sachen einredest, nur damit du etwas tun kannst.
Und du darfst eines nicht vergessen. Durch die persönliche Betroffenheit, durch die Schuldgefühle war sogar der Brenner in Gefahr, dass er sich zu früh rührt. Er hat sich eingeredet, dass vorher auch der Kressdorf im Volvo vom Knoll gesessen ist. Dann hat er sich doch wieder zusammengerissen, weil wie willst du aus der Entfernung mit freiem Aug erkennen, wer im Auto sitzt.
Nach einer halben Stunde hat er es nicht mehr ausgehalten und ist hinunter. Er hat den Mondeo eine Kurve vor der Kressdorf- Alm im Wald versteckt, dann dreimal um die Hütte herumgeschlichen. Herzklopfen, frage nicht, weil es war schon länger her, dass er so etwas gemacht hat, und Waffe auch nicht mehr seit den Tabletten, weil der Gesetzgeber hat gesagt, es ist gescheiter, du gibst uns den Waffenschein zurück.
Vorsichtshalber hat er geklopft, weil irgendwas wäre ihm schon eingefallen, wenn der Kressdorf ihm die Tür aufgemacht hätte. Aber es hat niemand aufgemacht, es hat sich überhaupt nichts gerührt. Der Jeep ist zwar vor dem Haus gestanden, aber der Kressdorf war nicht mehr da.
Siebenundfünfzigeinhalb Stunden nachdem sein Schützling aus seinem Auto verschwunden ist, sich in Nichts aufgelöst hat, im Kindersitz verduftet ist, von der Zone der
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