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Der Brenner und der liebe Gott

Der Brenner und der liebe Gott

Titel: Der Brenner und der liebe Gott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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blütenweiß, wo du als Mann sagst, siehst du, so könnte man auch leben, wenn man das Eheliche in Kauf nimmt. Und nicht nur das Bettzeug, mit dem er zugedeckt war, ist weiß gewesen, sondern auch der Wiegenrand, der ihn schützend umgeben hat wie einen Neugeborenen. Oder sagen wir einmal so. Der Brenner hat erst jetzt begriffen, dass er gestern in der Badewanne so fest eingeschlafen ist, dass der Südtirolerin nichts anderes übriggeblieben ist, als ihn in der Wanne zuzudecken.
    Aber so schnell ist überhaupt noch nie eine Menschenseele vom Himmel in die Hölle gefahren. Weil der Brenner hat jetzt begriffen, warum er aufgewacht ist. Das Handy in seinem Gewandhaufen hat geklingelt, und er hätte alles auf der Welt gegeben für »Unbekannter Teilnehmer«. Aber es war kein unbekannter Teilnehmer. Ob du es glaubst oder nicht, einundsiebzig Stunden nach dem Verschwinden ihrer Tochter hat die Frau Doktor ihn angerufen.
    Zwanzig Minuten später ist ihr BMW schon in die Tankstelle eingebogen. Weil dort hat der Brenner sie hinbestellt, nicht sehr feinfühlig, das muss ich schon sagen, aber in seinem Aufwachdusel ist ihm nichts Besseres eingefallen als die Tankstelle gegenüber.
    Der Brenner hat erst nach einer Schrecksekunde die Beifahrertür aufgemacht, weil es ist ihm ganz komisch vorgekommen, dass auf einmal die Frau Doktor am Steuer sitzt und er sich auf den Beifahrersitz setzen soll.
    »Das Auto ist im Moment der einzige Ort, wo ich nicht das Gefühl habe, dass ich abgehört werde«, hat sie zur Begrüßung gesagt.
    »Von der Polizei oder von den Entführern?«
    Der Brenner hat noch nie erlebt, dass sich ein Mensch in drei Tagen so verändert hat. Außer es ist wem ein Arm weggeschossen worden oder ein Bein, das ist immer eine plötzliche Veränderung, oder unter die Straßenbahn gerutscht, beide Beine weg, so was ist natürlich eine plötzliche Veränderung, aber gleich danach kommt schon die Veränderung von der Frau Doktor Kressdorf. Weil die muss seit dem Tag, wo ihr Kind verschwunden ist, keinen Bissen mehr gegessen haben, und das allein erklärt es auch nicht, weil komplett anderer Menschentyp. Dass es so was gibt! Dem Brenner ist sogar vorgekommen, andere Haar- und Augenfarbe, aber nicht dass du glaubst, gefärbt. Sondern rein vom ding her.
    Charakterlich dafür vollkommen unverändert. Und das hat den Brenner jetzt wahnsinnig erleichtert. Kein hysterischer Ausbruch, keine verbitterte Bemerkung, nicht einmal ein Seufzen oder ein vorwurfsvoller Augenaufschlag. Diese Beherrschung hat dem Brenner gewaltig imponiert. Sie ist ganz ruhig Richtung Innenstadt gefahren, kein aggressives Gasgeben, kein abruptes Zusammenbremsen, kein vorwurfsvolles Kuppeln, kein demonstratives Temperaturregeln, kein hektisches Scheibenputzen, kein nervöses Fensteröffnen, kein Opferlammblinken, kein Regulieren und kein Schalten, wo die autofahrerische Berechtigung gefehlt hätte und wo der sensible Beifahrer und Kinderverlierer einen seufzenden Vorwurf heraushören hätte müssen.
    Der Brenner hat sich gedacht, das sollten sich die anderen Angehörigen von Entführungsopfern einmal zum Vorbild nehmen. Nicht immer alles noch komplizierter machen, weil man als Opferangehöriger seine große Stunde gekommen sieht. Endlich die große Chance, und jetzt bin ich einmal an der Reihe, jetzt müssen die Leute mir alles nachsehen, und jetzt wird mein Umfeld büßen, bis es nicht mehr weiß, wo hinten und vorne ist. Das hat der Brenner in seiner Zeit bei der Kripo oft und oft erlebt. Weil Motto der Opferangehörigen: Der Polizist wird für alles büßen, was mir im Leben angetan wurde. Und der Opferangehörige hat so eine Kraft, das glaubst du gar nicht, der treibt Ärzte, Psychologen und Betreuer in den Selbstmord und erzeugt so immer neue Opferangehörige.
    »Ich muss Ihnen etwas sagen«, hat die Frau Doktor Kressdorf auf einmal angefangen, nachdem sie minutenlang schweigend vor sich hin gefahren ist. Aber dann ist sie wieder verstummt, und erst, wie sie schon auf den Ring eingebogen ist, hat sie ihre Sprache wiedergefunden: »Es gibt etwas, das ich der Polizei nicht erzählen kann. Wenn Sie es nicht für sich behalten können oder wollen, sagen Sie es mir bitte gleich.«
    »Kein Problem. Von mir erfährt keiner was.«
    Er hätte es gern mit ein bisschen mehr Überzeugungskraft gesagt, aber ich persönlich finde dieses trockene Versprechen nicht einmal am schlechtesten, weil wie willst du wem beweisen, dass du etwas nicht weitererzählst.

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