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Der Brenner und der liebe Gott

Der Brenner und der liebe Gott

Titel: Der Brenner und der liebe Gott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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der Südtirolerin gelassen hat. Hätte er sie nicht doch gleich zur Polizei bringen müssen? Hätte er nicht sofort die Frau Doktor verständigen sollen? Ist es womöglich ein furchtbar schlechtes Zeichen, dass noch nicht einmal zweiundneunzig Stunden vergangen sind, wo es die Zone der Durchsichtigkeit doch erst am fünften Tag zerreißt? Darüber hat er nachgedacht, während er der Sanja beim Tanzen und dem Milan beim Reden zugeschaut hat, weil gehört hat er den Milan nur, wenn der ihm direkt ins Ohr geschrien hat.
     
    Die Sanja hat mit so einer Ausdauer getanzt, als würde sie sonst nichts auf der Welt interessieren, und der Brenner hat sich langsam gefragt, ob sie jemals damit aufhören wird.
    »Wie hast du das gemeint?«, hat er dem Milan ins Ohr gebrüllt. »Was?«
    »Wie du das vorher gemeint hast.«
    »Jaja, ich bin nicht taub! Aber was gemeint?«
     
    »Ihre Freunde, denen nichts ein Problem ist. Wie hast du das gemeint?«, hat der Brenner ein bisschen leiser gebrüllt.
     
    Der Milan hat eine Gratiszeitung aus seiner Tasche gezogen, und die Zeitung hat den Brenner wieder an die Südtirolerin erinnert, wie er sie zum ersten Mal gesehen hat, und er hat nur auf die Zeitung geachtet statt auf die Milch. Er war sich auch fast sicher, dass die Südtirolerin keinen Blödsinn machen wird. Fast. Fast ganz sicher. Die Südtirolerin hat ja keine böse Absicht gehabt. Fast sicher war er. Er hat ihr ja versprochen, dass er ihr nachher bei Gericht helfen wird. Damit sie mit »bedingt« davonkommt. Und sie war auch nicht richtig verrückt in dem Sinn. Sondern mehr eine Mischung aus Gelegenheitstäterin und. Fast sicher.
     
    Der Brenner hat versucht, sich zu beruhigen, indem er immer wieder die gleichen Gedanken gedacht hat, so wie die Sanja auf der Tanzfläche immer wieder die gleichen Bewegungen gemacht hat. Er hat es innerlich immer wieder begründen müssen, das war der reinste Zwang, als würde es nur so lange gut gehen, solange er sich rechtfertigt, dass es in einem Notfall schon in Ordnung ist, die Entführerin gleich zu ein paar Stunden als Babysitterin einzuteilen, quasi Sozialarbeit statt Gefängnis. Und was hätte er auch machen sollen? Weil sobald du ein entführtes Kind zurückhast, sofort die größte Frage, wo krieg ich jetzt einen Babysitter her.
    »Der Mann, der sie geschwängert hat«, hat der Milan gesagt.
    »Was ist mit dem Mann?«
     
    »Für einen Detektiv sind Sie aber ganz schön
slow.«
Der Milan hat lässig auf die Zeitungsseite gedeutet, die er vor dem Brenner aufgeschlagen hat.
     
    Es war ein Artikel über das
Riesenland,
den die Tante von der Sanja dem Milan gegeben hat. Du musst wissen, die Tante von der Sanja war die Zivka, die war aus der Nähe von Lovrec, und der Schwager vom Milan seiner Schwester, der Dusan, war aus Katuni. Und dem seine Cousine war aus Kresovo, die Cvetanka. Und die Cvetanka ist mit dem kleinen Bruder von der Zivka, also nicht mit dem Radan, sondern mit dem Todor, in Lovrec in die Berufsschule gegangen. Und dadurch hat der Milan herausgefunden, dass das Mädchen auf dem Foto die Cousine vom Darko ist. Und vom Darko hat er erfahren, dass seine Mutter, sprich die Zivka, ihm erst gestern ein Foto in der Gratiszeitung gezeigt hat, wo ihre Nichte, also seine Cousine Sanja, steif und fest behauptet hat, der Mann auf dem Foto wäre ihr reicher Freund.
     
    Der Brenner hat dem Artikel entnommen, dass das
Riesenland
nur Vorteile für alle Beteiligten hat. Weil die Arbeitsplätze, das Steueraufkommen, die Infrastruktur, alles für die Allgemeinheit. Ganz besonders ist die Verlängerung der Liliputbahn herausgestrichen worden, rund um die
Erlebnisworld Riesenland
herum, bis hinunter zur Schrebergartensiedlung
Grünland.
Und die SchrebergartenAnrainer kriegen als Geschenk einen Gratisparkplatz in der Tiefgarage.
     
    Der Brenner ist ein bisschen ins Schwitzen gekommen, wie er das gelesen hat. Ob du es glaubst oder nicht, von den vier Leuten auf dem Foto hat er drei gekannt: Den Kressdorf hat er natürlich gleich erkannt, den Obersenatsrat Stachl und den Reinhard auch gleich erkannt, weil war noch nicht so lange her, seit er sie in Klosterneuburg gesehen hat. Und der Vierte war ein hoher Wiener Politiker, mit dem hab ich mir ausgemacht, dass ich ihn nicht namentlich nenne. Das musst du verstehen, weil Quelle.
    Der Milan hat lässig mit dem Kinn auf das Foto gedeutet und gesagt: »Der da war es.«
    »Welcher?«
    »Der am Rand.«
    »Linker Rand oder rechter

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