Der Brenner und der liebe Gott
Rand?«
»Blattrand«, hat der Milan gesagt und den Sitz seiner Sonnenbrille kontrolliert, die er wie einen Haarreifen am Kopf getragen hat, frag mich nicht wieso.
»Die Drecksau!«
Der Milan hat nicht reagiert auf diesen Gefühlsausbruch vom Brenner und so cool auf die Tanzfläche geschaut, als hätte er den Aufschrei gar nicht gehört. Und wahrscheinlich ist wirklich der Brenner als Einziger überrascht gewesen von seinem empörten Ausruf, weil wie gesagt, seit den Tabletten oft spontane Gefühle. Die sind einfach so herausgekommen wie bei anderen Leuten ihr Schluckauf oder ihre Meinungen.
Und vielleicht hat der Milan überhaupt nur, um den Brenner zu beruhigen, in dem Moment gesagt: »Ich hab Ihnen doch eine Pistole besorgt.«
Er hat es so nebenbei gesagt, als hätte er dem Brenner im Tankstellenshop vom neuesten Gratiskuchenangebot erzählt.
»So schnell?«
»Ja, aber keine echte«, hat der Milan gesagt. »Was heißt keine echte?«
»Eine Spielzeugpistole, die hundertprozentig echt ausschaut. Besser als nichts«, hat der Milan gesagt.
»Das ist schlimmer als nichts!« Der Brenner hat schon wieder gespürt, wie seine Wut über dieses Angebot in ihm aufgestiegen ist.
Aber dann hat er sich gleich wieder zusammengerissen, weil die Sanja endlich zu ihnen gekommen ist und ein Cola light bestellt hat. Sie war so verschwitzt, dass der Brenner fast gesagt hätte, sie soll das Cola mit den Eiswürfeln nicht zu schnell trinken, sonst verkühlt sie sich noch. Du darfst nicht vergessen, die Sanja hat den Brenner wahnsinnig an die Grünspan Renate erinnert, die in der Schule ein halbes Jahr lang neben ihm gesessen ist, weil sie ihn strafweise neben ein Mädchen gesetzt haben. Cola light damals natürlich noch nicht, sondern nur Cola normal oder Cola Rum, aber sonst die Sanja rein die Renate. Alles, die Haare, dann die Nase, wo jeder Indianerhäuptling neidig geworden wäre, und dann erst die Augen. Ich sage nur so viel, die Renate hat eigentlich nicht Grünspan, sondern Haller geheißen, und Grünspan nur Spitzname, siehe Augen.
Eigentlich ist er damals nur wegen der Renate weiter ins Gymnasium gegangen, obwohl der Großvater schon einen Mechaniker-Lehrplatz für ihn gehabt hätte, und ein bisschen hat es dem Brenner heute noch leid getan, dass er nicht Mechaniker geworden ist. Aber die Renate war so eine gute Schülerin, dass sich rein vom Abschreiben seine Noten so verbessert haben, und dann nächste Klasse Gymnasium, und dann Polizeischule statt Mechaniker, so spielt das Leben.
Der Milan hat der Sanja eine Geschichte erzählt, dass der Brenner eine Adresse braucht für eine Abtreibung bei einer Minderjährigen. Sie hat den Brenner entsprechend angeschaut, genau wie die Renate immer geschaut hat, aber er war nicht sicher, ob die Sanja ihn rein als Mann verachtet, der ein junges Mädchen wie sie geschwängert hat, oder eher dafür, dass der Loser sich nicht einmal mit den Adressen für solche Fälle auskennt. Weil der Sanja hat trotz ihrer Jugend schon eine gewisse Lebensweisheit aus den schönen Renate-Augen geschaut, und der Brenner hat in ihren Augen gelesen, dass sie nie so blöd wäre, sich von einem Loser missbrauchen zu lassen.
Der Milan muss es auch bemerkt haben, dass die Sanja keine gute Gesprächsbasis zum Brenner aufbaut, weil er hat jetzt der Sanja erklärt, dass der Herr Brenner der Großvater des schwangeren Mädchens ist. Das war vom Milan gut gemeint, aber dem Brenner hat es schon ein bisschen wehgetan, weil er hat sich gedacht, Vater hätte auch gereicht. Großvater ist übertrieben. Aber »ein bisschen wehgetan«, das war nur im ersten Moment so. Weil der Schmerz hat sich binnen Sekunden zum reinsten Blutrausch hochgeschaukelt. Großvater! Das war wieder sein emotionaler Schluckauf, den er seit den Tabletten manchmal gespürt hat und der jetzt überhaupt nicht mehr aufgehört hat. Um sich abzulenken, hat der Brenner versucht, noch ein Bier zu bestellen, aber wie er auf seine Flasche deutet, sieht er, dass der Barmann ihm vorher kein alkoholfreies Bier gegeben hat, obwohl er extra zweimal nachgefragt hat, ob sie ein alkoholfreies haben. Und da hat er eine solche Wut auf den Barmann gekriegt, dass er am liebsten die Flasche auf seinem Kopf zerschlagen hätte.
Und siehst du, das war die Wanderwut. Das ist eine Notreaktion, so wie der Körper umfallt, wenn zu wenig Blut in den Kopf kommt, so fangt die Wut zu wandern an, wenn du sonst zerspringen würdest. Das ist rein zur Entlastung,
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