Der Brenner und der liebe Gott
das musst du dir vorstellen wie einen Sportler, der verschiedene Muskeln immer schön abwechselnd trainiert. Und genau wie eine übertrainierte Muskulatur braucht auch die Spitzenwut ab einer gewissen Größe dauernde Abwechslung, damit der Wuthaber nicht zugrunde geht, sprich, die Wut muss sich bewegen, die Wut spaziert von einem Gegenstand zum anderen, von einer Person zur anderen, vom Blattrandmann zum Barmann, vom Barmann zur Renate, von der Renate zum Cola light, vom Cola light zur Musik, von der Musik zur Milan-Sonnenbrille, auf alles, was du siehst oder hörst oder riechst, kriegst du abwechselnd eine Wut, damit du nicht daran erstickst.
Und ob du es glaubst oder nicht. Der Alkohol und die Tabletten und die Verzweiflung und die Übermüdung und die Erinnerung an den Knoll in der Senkgrube und an den Kressdorf, der dem Knoll die Tür aufgemacht und freundlich die Hand gegeben hat, und vor allem an den Reinhard, an den edlen Tausendeurospender, der sich nachtsüber im Domizil und tagsüber im Refugium und jetzt auf dem Zeitungsfoto am Blattrand befunden hat, haben den Brenner mit einer solchen Wut erfüllt, dass er sich nicht anders zu helfen gewusst hat. Und zum ersten Mal, seit er sich mit der Renate wegen einer saublöden Kleinigkeit zerstritten hat, ist der Brenner auf die Tanzfläche gegangen, nur damit er die arrogante Sanja mit ihrem Renate-Gesicht nicht länger anschauen muss.
Der Brenner super getanzt, so was hat man noch nicht gesehen, dagegen ist alles, was sich jemals zwischen New York und Jugodisco zur Musik bewegt hat, nur ein schwachbrüstiger Vogerltanz, weil der Brenner Urgewalt. Aber die Jugokinder haben das nicht verstanden und haben nach und nach die Tanzfläche verlassen, quasi Protest.
Und wie er zum Tisch zurückgekommen ist, sind der Milan und die Sanja weg gewesen. Er hat sie auch draußen nicht gefunden, nicht am Gang, nicht bei der Garderobe, nicht vor dem Lokal, nicht am Klo. Die Sanja war verschwunden. Und wie sich jetzt die Wanderwut vom Brenner gegen ihn selber gerichtet hat, das kannst du dir nicht vorstellen. Zuerst gegen sich selber, dann gegen den Milan. Wie er fast in ihn hineingerannt ist. Gleich neben dem Herrenklo, beim Lieferanteneingang. Jetzt, wo es draußen schon hell geworden ist, hat der Milan die Sonnenbrille sogar richtig auf der Nase gehabt. Aber der Brenner hat trotzdem auf den ersten Blick gesehen, dass er tot war.
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Aber so hat es ja kommen müssen. Wenn du einen ermordeten Knoll in der Senkgrube hast, dann musst du davon ausgehen, dass irgendwo sein Mörder herumläuft. Und dann kannst du nicht damit rechnen, dass dem das vollkommen egal ist, wenn einer Tag und Nacht darüber nachdenkt, warum der Knoll in der Senkgrube gelandet ist. Oder reines Nachdenken noch in Ordnung. Aber Herumfragen, Herumbohren, Herumstierln, Schrebergarten, Foto, Jugodisco! So etwas macht den gutmütigsten Mörder nervös.
Und wenn der Ermordete in der Senkgrube von deinem ehemaligen Chef liegt, und wenn er kurz vor der Ermordung einen Baustopp gegen das größte Bauprojekt deines Chefs erwirkt hat, und wenn er vor seiner Ermordung noch dazu der Hauptverdächtige bei der Entführung des Chefkindes war, und wenn du noch dazu weißt, dass dein Chef den Ermordeten persönlich vor der Hütte begrüßt hat, dann darfst du dich nicht wundern. Und natürlich liegt der Brenner ein paar Minuten nachdem er den Milan gefunden hat, fest verschnürt wie für das reinste Seemannsbegräbnis hinten im Kofferraum und wird Gott weiß wohin transportiert.
Aber interessant. Auch wenn du nicht das Geringste siehst, du versuchst doch, dich irgendwie zu orientieren.
Wo bringen sie mich hin? Rein vom Spüren her hast du natürlich keine Chance in einem Kofferraum. In so einem Fall, wenn du nichts siehst und auch nichts hörst außer dem Verkehrslärm, musst du unbedingt eine gute Vermutung riskieren. Da musst du auf Teufel komm raus deinen ganzen Verstand zusammennehmen und dich einfach mutig für eine Annahme entscheiden, rein aus dem Kopf heraus und ins Blinde hinein. Und erst danach kannst du mit einem guten Gespür vielleicht vom Rütteln her, vom Abbiegen her, vom Bremsen und Beschleunigen her, vom Bergauf und Bergab her sagen, ja, Annahme richtig oder falsch.
Das hat ihnen vor vielen Jahren der Sir beigebracht, der einzige Polizeischullehrer, der immer einen Anzug getragen hat, und darum Spitzname Sir. Damals haben sie den Sir ausgelacht, weil das war eine Zeit, wo
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