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Der Brenner und der liebe Gott

Der Brenner und der liebe Gott

Titel: Der Brenner und der liebe Gott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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man gesagt hat, nur die Fakten, etwas anderes interessiert uns gar nicht. Und ich sage auch, solange es mit den Fakten geht, bin ich voll dafür. Aber natürlich im Dunkeln. Im Kofferraum. Mit verbundenen Augen. Blind wie ein Embryo. Das hat jetzt der Brenner am eigenen Leib erlebt, dass man in so einer gottlosen Dunkelheit nicht zu viel auf die Fakten schauen darf und auch nicht ewig die Rütteleindrücke analysieren, weil hoffnungslos. Da hat der Sir vollkommen recht gehabt, zuerst muss einmal die Vermutung her, die Annahme, das Vielleicht, das Wahrscheinlich, das Möglicherweise. Der Brenner jetzt das beste Beispiel dafür. Sie werden mich doch nicht nach Kitzbühel bringen, war sein erster Gedanke im Kofferraum. Das war zwar mehr eine Angst als eine Vermutung, aber pass auf, was ich dir sage: Eine Angst ist auch eine Vermutung.
    Und in dem Moment, wo die Angst in ihm das vermutet hat, ist ihm auch vorgekommen, dass sich vom Rütteln her, vom Bremsen und Beschleunigen und vom Abbiegen her sein Verdacht bestätigt. Oder zumindest nicht widerlegt! Und du darfst nicht vergessen, wie gut er die Strecke gekannt hat. Das könnte jetzt die Ampel vor der Autobahnauffahrt sein, hat er vermutet, die immer so saublöd geschaltet ist, dass man nur mit einem Raketenstart auch die zweite noch bei Grün erwischt. Und das könnte jetzt die Autobahnauffahrt sein, hat er vermutet, wie es ihn so gemein gegen die Seite gedrückt hat, dass ihm die Fliehkraft fast das Genick gebrochen hat. Etwas anderes hat er da natürlich noch nicht vermutet. Nämlich, wie sehr er sich nur ein paar Stunden später wünschen wird, es wäre der Fliehkraft wirklich gelungen, ihm schon im Auto den Hals umzudrehen. Aber nichts da, halsmäßig ist der Brenner ganz nach seinem stämmigen Großvater gekommen, sprich, das Genick vom Brenner hat es locker ausgehalten.
    Dann ist es auf einmal so schnell und sauber geradeaus gegangen, als wäre er das hinterste Gepäckstück in einem Raumschiff, das es sehr eilig hat in die nächste Galaxie. Aber da musst du bei der Blindvermutung auch wieder vorsichtig sein, du darfst auf keinen Fall dem Blindvermutungsrausch erliegen und alles gelten lassen vom Raumschiff bis zum Ich-weiß-nicht-was. Sondern immer bei der wahrscheinlichsten Variante bleiben, und siehst du, da kommen wieder die Fakten ins Spiel. Weil wenn sie mich in einen Kofferraum geschmissen haben, werde ich nicht jetzt auf einmal in einem Raumschiff liegen. Sondern viel eher: Autobahn.
    Auf der Autobahn ist es so lange dahingegangen, dass der Brenner aus der Beobachtung dieses ewigen Dahingleitens und sanften Bergauffahrens immer sicherer geworden ist mit seiner Prognose: vierstündige Autobahnfahrt nach Kitzbühel. Zeitgefühl im Dunkeln ist natürlich so eine Sache, und Kofferraumzeit immer relativ. Jetzt ist der Brenner bei seiner Prognose geblieben, obwohl sie für sein Gefühl nicht viel länger als zwei Stunden unterwegs waren. Aber sein Kofferraumschiff war ja auch mit einer wahnsinnigen Geschwindigkeit unterwegs. Das hat der Brenner schon daran erkannt, dass er die ganze Zeit an der Rückwand geklebt ist. Dann hat er auch nicht vollkommen ausschließen können, dass ihn nicht doch die Honigmi1ch noch für ein paar Minuten überwältigt hat.
     
    Und du darfst eines nicht vergessen. Bei der Abfahrt hat es ihn so brutal nach vorn geschleudert, als würden sie mit 250 gegen eine gutgepolsterte Wand fahren. Mit den gefesselten Händen natürlich keine Chance, sich irgendwie abzufangen, sprich Nasenbein und eine Rippe. Weil nasen- und rippenmäßig ist der Brenner wieder mehr von der anderen Großvaterlinie her gekommen, fast zu empfindlich für seinen Beruf. Oder auch wieder nicht. Die Empfindlichkeit brauchst du ja genauso. Seiner Rippe und seiner Nase hat der Brenner jetzt eine wichtige Tempoinformation verdankt, sprich Höllentempo. Und ohne Rippe, ohne Nase hätte er womöglich geglaubt, es ist zu früh für Kitzbühel. So aber hat er gewusst, er kann ruhig bei seiner Annahme bleiben. Oder besser gesagt, er muss dabei bleiben. Weil bei einer Angstvermutung bleibst du ja nicht so gern wie meinetwegen bei einer Hoffnung.
     
    Und das fühlt sich jetzt ganz nach der Kitzbüheler Dorfstraße an, hat er sich gedacht. Da hätte seine gebrochene Rippe das Schlagloch vor der Rechtskurve gar nicht mehr gebraucht. Und jetzt geht es schon steil bergauf, und das sind jetzt schon die Serpentinen, und das muss jetzt schon die Schotterstraße sein, und das, wo

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