Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld
haltenden) Literatur abzulesen ist, aber wirklich glaubhaft wird erst dort, wo ein Meister sich auf den Holzweg begibt – wie eben Thomas Bernhard in seiner ›Verstörung‹.«
[34]
Wien
18. 5. 67
Lieber Dr. Unseld,
in meinem Safe, der gar kein imaginärer ist, ist als Wichtigstes das Vertrauen meines Verlegers zu mir aufbewahrt, ein wunderbarer selbstverständlicher Schatz.
Ich finde, die Kritiker, ob dumm oder nicht, haben sich von meinem Buch aufregen lassen, das ist der Sinn eines solchen Buches. Wie Sie ja wahrscheinlich, sicher wissen, gibt es ja überhaupt nur dumme, darunter aber verheerend ganz dumme Kritiker. Ich weiss das und die Kost verdirbt mir nicht den Magen, wichtig ist nur, wie und in welchem Rahmen die Kritikerdummheit aufgetragen wird, das Besprechungsmenu, das auf eine Veröffentlichung folgt.
In 14 Tagen schicke ich das Theaterstück an Herrn Braun, es heisst »Ein Fest für Boris« – und im nächsten Jahr, im Herbst, werde ich meinen neuen Roman herausbringen, mein Verleger wird es tun und |ich| werde arbeiten, nichts als arbeiten und mein lebenslängliches Vergnügen daran haben.
Sie haben einen Autor, der nicht dumm ist und sich nicht irritieren lässt.
Sehr herzlich
Ihr
Thomas Bernhard
[35; Anschrift: 〈Ohlsdorf〉]
Frankfurt am Main
22. Mai 1967
Lieber Herr Bernhard,
Ihr Brief vom 18. Mai hat mich sehr gefreut. Ich bin beruhigt, daß Sie unabgelenkt an der Arbeit sind.
Ich war in früheren Jahren in Korrespondenz mit Hermann Hesse. Erst später habe ich ihm gestanden, daß ich eine Dissertation über ihn beabsichtige, und fragte aber doch ganz schüchtern an, ob er mir dies überhaupt gestatten würde. Er schrieb mir zurück, »von Schriften, die über mich geschrieben werden, darf ich mich nicht berühren lassen«. Das ist ein guter Satz, den wir beherzigen sollten.
Ich freue mich sehr auf das »Fest für Boris«. Ich werde es sogleich lesen und freue mich besonders, daß wir im nächsten Herbst ein neues Buch von Ihnen herausbringen dürfen.
Wann immer Ihre Reisepläne nördliche Gegenden berühren, lassen Sie mich dies wissen. Es wäre schön, wenn wir zusammenträfen. Ich habe die löbliche Absicht, den Sommer in Frankfurt zu verbringen.
Schönste Grüße
Ihr
Siegfried Unseld
[36, Anschrift: 〈Ohlsdorf〉; Briefbogen des Suhrkamp Verlags]
Frankfurt am Main
29. Mai 1967
Lieber Herr Bernhard,
in der edition suhrkamp erschienen als Band 213 Ihre Erzählungen. Ein Vertrag darüber liegt Ihnen vor. Sie haben ihn jedoch noch nicht zurückgeschickt. Bitte, holen Sie das doch jetzt nach. Die Bedingungen der Ausgabe sind darin genannt.
Ich kann nicht unterdrücken, daß ich den Titel »Prosa« für unglücklich halte. Leider hat mir Herr Busch diese Änderung nicht bekanntgegeben, ich hätte sonst sofort mit Ihnen Verbindung aufgenommen. Dieser Titel eignet sich nur für Klassifizierungen oder für Titulierungen von Nachlaßbänden, also für irgend etwas Abgeschlossenes, und Sie hoffe ich doch in schönster Entwicklung! Aber das ist nun so. 1
Und gleich eine zweite kritische Anmerkung. Bitte, reagieren Sie in der Öffentlichkeit nicht auf die Kritik, die an Ihnen geübt wird. Ihr »Spiegel«-Brief könnte wie ein Bumerang auf Sie zurückschlagen. Man darf so nicht reagieren und muß seinen Übermut bezähmen können. Mir geht es ja auch nicht anders. 2
Schönste Grüße
Ihr
Siegfried Unseld
1 Der im Mai 1967 erschienene Band Prosa enthält, statt der zunächst vorgesehenen neun Erzählungen, nur sieben. Kurz vor Drucklegung beginnt eine Diskussion um den Titel. Günther Busch schreibt deshalb am 6. März 1967 an Th. B.: »Was mir Kummer macht, ist der Titel des Bandes. Ich finde, daß die Geschichte vom Attaché nicht gerade die stärkste der Sammlung ist, und es wäre wohl besser, wenn wir das Glück des Buches nicht ausgerechnet und derart offenkundig auf eine, wie mir scheint, wenig gelungene Erzählung setzten.« Am 3. April 1967 antwortet Th. B.: »Lieber Herr Busch, ich habe die zwei gefährlichen Stücke ›Gestern Abend‹ und ›Attaché‹, stark korrigiert. ›Gestern Abend‹ als Titel ist gestrichen, es heisst jetzt: ›Ist es eine Komödie? Ist es eine Tragödie?‹ [. . .] Die Titelfrage lösen wir, stelle ich mir vor, indem wir bei ›Prosa‹ bleiben. Alles andre ist mir unverdaulich, daraus wird nichts als künftiger Ärger.« Auf die kritische Anmerkung von S. U. zum Titel reagiert Th. B. gegenüber
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