Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld
seiner Arbeit. Jetzt sei er unabhängig, er könne schreiben, was er wolle.«
[339; Anschrift: Ohlsdorf; Telegrammnotiz]
Frankfurt am Main
7. Juli 1976
Lieber Thomas Bernhard
meine Frau, mein Sohn und ich würden uns freuen, wenn Sie am Freitag abend zum Abendessen ab 18.00 h nach Rottach-Egern, Hotel Bachmaier am See, kämen.
Vielleicht mit Frau Maleta – herzlich Ihr Siegfried Unseld. 1
ze. – 8.40 h
1 S. U. hält sich mit seiner Familie vom 8. bis 10. Juli am Tegernsee auf, besucht dort u. a. Ernst Bloch im Alpensanatorium Bad Wiessee, der seinen 91. Geburtstag begeht, und macht einen Abstecher zu Jürgen Habermas nach Starnberg. Über das Treffen mit Th. B. und Gerda Maleta schreibt S. U. in seinem Reisebericht Bad Wiessee—Rottach-Egern—Starnberg, 8.-10. Juli 1976 :
» Thomas Bernhard kam zu Besuch und mit ihm Frau Gerda Maleta . Beide haben immerhin zwei Stunden Autofahrt auf sich genommen. Bernhard war in glänzender Form, nur kurz wurde einmal über sein Stück gesprochen, an dem er arbeitet und das er planmäßig bis Oktober fertigstellen wollte. Sonst kein Wort vom ›Geschäftlichen‹.
In der ›FAZ‹ vom 10. Juli hatte ich eine Anmerkung von Heinz Politzer gelesen: ›Ein aus Magdeburg stammender Frankfurter, Horst Krüger nämlich, hat vor kurzem Wien besucht, verblüfft gefragt: «Was ist Österreich?» und sich selbst geantwortet: «Österreich ist ein immerwährendes Thomas-Bernhard-Stück. Eine schauerlich schöne Theaterszene von lauter letzten Sachen.» Nun trifft dieses Aperµu weniger auf Österreich als auf einen nicht unbeträchtlichen Teil der österreichischen Literatur zu. Hermann Bahr hin, Josef Nadler her, das Barock, und besonders das groteske, ist aus dieser Literatur nicht wegzudenken, und Thomas Bernhard, dieser Glaszeichner von absurden Eisblumen der Vereinsamung und Verzweiflung, hat einen Stammplatz in ihrer Tradition inne.‹
Der ›Glaszeichner der Vereinsamung und Verzweiflung‹ war heiter, gesellig, zu Scherzen und Witzen aufgelegt, trank Champagner, dann beim Abendessen Wein und ließ sich seine Zwiebelsuppe und die Tegernsee-Renke schmecken. Frau Maleta hatte einige Fotos mitgebracht, sie war ja mit ihm in Portugal gewesen. Ein Foto war wie Caspar David Friedrichs ›Mönch am Meer‹, das andere zeigt einen elegant mit hellen Hosen und Schuhen und dunkler Jacke bekleideten, ins Meer hinaus- oder hineinsinnenden Dichter, mit sich zufrieden und weder vereinsamt noch verzweifelt. Über das Geheimnis seiner Wandlungen kann man immer wieder nachsinnen.« Das Foto ist reproduziert als Abbildung 9.
[340; Anschrift: Ohlsdorf]
Frankfurt am Main
1. Oktober 1976
Lieber Thomas Bernhard,
einen Zwischenbescheid betreffend »Minetti«. Das Buch wird sehr schön! Wir wollen es jedoch nicht mehr in diesem Jahr ausliefern, sondern erst im Februar. Sie und Minetti sollen jedoch noch vor Weihnachten ein Exemplar erhalten. 1
Herzliche Grüße,
Ihr
[Siegfried Unseld]
1 Die Uraufführung am 1. September 1976 unter der Regie von Claus Peymann am Württembergischen Staatstheater kommentiert S. U. in seinem Reisebericht Stuttgart, 1. September 1976 :
»In Stuttgart Gespräch mit Bernhard . Es war wieder einmal ein übliches Gespräch. Seine Freundlichkeit drängte auf Geld hin. Er hatte die Probe gesehen, war begeistert, fand es ›großartig‹. Die Signierung der Sonderausgabe von ›Minetti‹ lehnte er ab, er wollte auch nicht 100 Exemplare, die wir in Leder binden könnten, signieren. Beim Zweiten blieb ich dann hart. Er wollte wieder DM 30.000.— haben; obschon er ja noch ein Guthaben aus den Wiener Honoraren hat, vertagte ich diese Frage bis zum Dezember.
Er will seinen Plan einhalten. Er schreibt bis Oktober am neuen Stück ›Das Denken im Lärchenwald‹. Eine Familiengeschichte mit sieben Personen. Die Uraufführung soll im Juni in Stuttgart sein. Dieses Stück läuft dann wieder durch uns. Im Winter schreibt er den Roman ›Unruhe‹. Er will das im März fertig haben, so daß das Buch dann im Herbst erscheinen kann. Danach dann das ›Lesebuch‹, dessen Herausgabe, nach seinem dringlichen Wunsch, ich übernehmen soll.
Die Aufführung des Stückes ›Minetti. Ein Porträt des Künstlers als alter Mann‹ mit ›Bernhard Minetti in der vollkommen monologischen Hauptrolle des Schauspielkünstlers‹ war ein großer Erfolg. Minetti steigerte sich, und seine Verzweiflungen, Aussagen und Prognosen nahmen greifbare Gestalt an. Claus Peymann
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