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Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld

Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld

Titel: Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund Fellinger
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hatte sich für die Inszenierung eine enorme Mühe gegeben, ein großartiges Bühnenbild, das die Atmosphäre einer Halle eines großen Hotels in Oostende deutlich machte. Fast das ganze Ensemble trat auf, und die stummen Rollen wurden von hervorragenden Schauspielern gespielt. Das alte Ehepaar, Edith Heerdegen und Hans Mahnke, ein Betrunkener von Traugott Buhre. Das Nachspiel, Minetti auf einer Bank am stürmischen Meer, die Ensor-Maske Lears aufsetzend, versinkt im Schneesturm. Zwei Zwischenrufe während des Stücks ›Ich grüß’ Dich Bernhard‹, das war auf dauernde Wiederholungen der Todeskunst gemünzt, und ›Morgen in Augsburg‹, als Minetti seine Tiraden gegen das stinkende Lübeck und gegen die Verbannung nach Dinkelsbühl losließ. Großer Beifall. Immer wieder mußte sich Minetti verbeugen.«

[341]
     
    Ohlsdorf
    15. 11. 76
    Lieber Siegfried Unseld,
    Ihre Zeilen aus Austin haben mich in eine mehrere Tage andauernde sehr schöne, leicht melancholische, aber eher doch philosophisch-melancholische Stimmung, unser beider Verhältnis betreffend, geführt und ich will die Gelegenheit, Ihnen von dieser Stimmung zu berichten, nicht vorbeigehen lassen, bevor Sie wieder in Europa zurück sind. 1
    Ich berichte von einem Zustand zwischen zwei Menschen, die wahrscheinlich doch über eine längere Lebenszeit zusammengehören zu ihrem ureigensten Zwecke und zu ihrer Freude .
    Eine solche Abwesenheit, wie Sie sie gerade praktizieren, macht vieles Unklare klar und wahrscheinlich die wichtigen Beziehungen deutlich. Austin wird für Sie ein solcher elementarer Platz sein, in welchem die (Ihre) Existenzgrundlage deutlich wird.
    Ein Mensch kommt und ist plötzlich nahe und kann von allen nur möglichen Seiten seiner Natur und von innen und aussen und umgekehrt, angeschaut werden mit dem höchstmöglichen Grad von Verstand und Gefühl, wenn er weit weg ist, sich entfernt hat, unerreichbar ist.
    Wenn ich es, unbestechlich von allen Seiten, anschaue, muss ich sagen, dass wir zusammen schon Wichtiges und auch sehr Schönes (im tiefsten, wie im allgemeinen Sinne!) zusammen gemacht haben und ich denke, wir haben in Zukunft noch eine Unmenge Glück.
    So im Besitz dieses Gedankens, fällt es mir nicht schwer, Sie zu grüssen. Die Dinge sind alle einfach, wenn wir wissen, wie unser komplizierter, unser kompliziertester Apparat (des Kopfes) zu bedienen ist.
    Die Natur ist der Weg, wir brauchen ihn nur zu gehen.
    Sehr herzlich Ihr
    Thomas B. 2
    1   Vom 24. Oktober bis 2. Dezember 1976 lehrt S. U. als Gastprofessor an der University of Texas in Austin / Texas, von wo aus er Ansichtskarten an die Verlagsautoren schreibt. Seine »Zeilen aus Austin« an Th. B. sind nicht erhalten. Möglicherweise beziehen sie sich aber auf einen Vorfall, den S. U. unter dem Datum des 1. November in der Chronik als »das Bernhard-Wunder« bezeichnet und über den ihn Burgel Zeeh informiert hat. Th. B. besteigt am 21. Oktober zusammen mit Gerda Maleta in Wien ein Flugzeug nach London, um dort u. a. eine Probeaufführung von The Force of Habit am National Theatre anzusehen; die Premiere des Stücks unter der Regie von Elija Moshinsky ist am 9. November. Die Umstände des Flugs schildert ein Kurier -Artikel mit der Überschrift »Einigen verging die Lust auf London-Flug«: »Leichenblaß und zitternd stiegen Donnerstag abend 45 Passagiere und sechs Besatzungsmitglieder in [Wien-]Schwechat aus einem englischen Verkehrsflugzeug. Eine Explosion im rechten Triebwerk hatte sie in Todesangst versetzt – glücklicherweise blieb es beim Schock: Dem Piloten gelang wenige Minuten nach dem Vorfall in 10 000 Meter Höhe eine glatte Landung auf der Schwechater Piste, von der er kurz zuvor gestartet war.« Th. B. schickt den Zeitungsausschnitt am 27. Oktober an Burgel Zeeh mit den begleitenden Worten: »[. . .] ich werde jetzt längere Zeit nicht fliegen, sondern arbeiten. Dieser ›Zwischenfall‹ gehört zu meiner ›Geschichte‹. Ganz schöne Tage jetzt auf der Erde. Bitte grüssen Sie unsern Verleger und meinen Dank für alle Erledigungen.«
    2   Th. B. notiert auf dem Briefumschlag den Absender »Thomas Bernhard A 4694, Ohlsdorf Europa«, was vermuten läßt, daß er den Brief direkt nach Austin schickt. S. U. kommentiert ihn in seinem Reisebericht USA—Mexico, 20. Oktober-15. Dezember 1976 unter dem Tageseintrag vom 23. November mit den Worten: »(der Meister hat mir einen für seine Verhältnisse äußerst liebenswürdigen Brief

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