Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld
geschrieben)«.
1977
[343; Anschrift: Ohlsdorf]
Frankfurt am Main
11. Januar 1977
Lieber Thomas Bernhard,
also Triest: ich komme an am Mittwoch, dem 26. Januar, 13.45 h. Wo werde ich am Abend mein müdes Haupt hinlegen? Und wir werden uns an diesem Mittwoch allein treffen, dies hoffe ich.
Am Freitag, dem 28. Januar, werde ich morgens um 7.00 h Triest wieder verlassen müssen, um hiesigen Verpflichtungen nachzukommen.
Ich hoffe, dies alles ist Ihnen angenehm. Das Vereinbarte bringe ich mit. 1
Ich danke Ihnen sehr für Ihre Anwesenheit in Frankfurt. Ich habe das Freundschaftliche empfunden. 2
Herzlich
Ihr
[Siegfried Unseld]
1 Th. B. und S. U. halten sich zwischen dem 26. und 28. Januar in Triest auf, da dort ein Thomas-Bernhard-Symposium stattfindet. Über sein Gespräch mit Th. B. am Vorabend des Symposiums schreibt S. U. in seinem Reisebericht Triest, 26.-28. Januar 1977 :
»Wir verbrachten den Abend redend, erzählend, den Besuch [im Schloß Duino am Nachmittag des Tages] reflektierend; auf einem Umschlag des Zürcher Schauspielhauses beschrieb ich ihm den Stand seiner Konten und übergab ihm den gewünschten Betrag [60.000.— DM].
Er ist begeistert von ›Minetti‹.
Er will noch einmal sein altes Hörspiel aufnehmen: ›Misses Nightflowers Monolog‹. Vor 25 Jahren sei es entstanden, und es sei sein einziges Hörspiel. Im Mittelpunkt Joana, die Schauspielerin, eine versoffene Gestalt. [Joana ist eine der Hauptfiguren im Roman Holzfällen .] Morgen lese er aus ›Watten‹, ob es den Band in der e. s. noch gebe? Ich bejahte das, aber innerlich fragte ich mich natürlich, ob dieser Band in der e. s. noch verkauft wird.
Wie stünde es um den Band ›Über Thomas Bernhard‹, den Peter Hamm herausgeben wollte?
Er schreibt am Stück ›Der Denker‹. Und dann am Roman ›Unruhe‹, beides kann für Herbst 1978 vorgesehen werden.
[. . .] Am Abend der Beginn des Thomas-Bernhard-Symposions an der Universität Triest. Veranstaltet vom Österreichischen Kultur-Institut. [. . .] Nachts Empfang beim österreichischen Generalkonsul, ich komme etwas zu früh, und da der Konsul nicht weiß, wen er vor sich hat, kann er seine Enttäuschung über Thomas Bernhard nicht verbergen, und die Tatsache, daß der österreichische Staat Steuergelder für unverständige Prosa ausgebe!«
Hilde Spiel läßt ihren am 3. Februar in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienenen Bericht über das Symposium mit der Beschreibung der Autorenrolle enden: »Und Bernhard selbst? Er war immerhin gekommen, hatte vorgelesen und einen Abend lang mitangehört, wie man seine Geistesarbeit klinisch zerlegte [. . .]. Danach blieb er den Ausführungen und Diskussionen fern. Aber er zeigte sich, so wortkarg er auch in der Öffentlichkeit auftrat, dennoch Gesprächen im kleinen Kreis und in informeller Umgebung keineswegs abgeneigt, ja, schien erfreut, in diesem verlorenen und vergessenen Winkel Europas Leser und Freunde zu finden. Der Einfall [. . .], einen Autor in engen Kontakt mit seinen Interpreten und beide zugleich vor ein Publikum zu bringen, hatte sich gerade im Fall Thomas Bernhards – fast möchte man sagen, überraschend – bewährt.«
2 S. U. hat anläßlich eines Jubiläums in eigener Sache – der 7. Januar 1952, 25 Jahre zuvor, ist sein erster Arbeitstag im Suhrkamp Verlag gewesen – zu einem Fest eingeladen, über das Die Zeit am 14. Januar 1977 berichtet: »Bei einem ›Betriebsfest‹, zu dem die Verlage Suhrkamp und Insel Belegschaft und Autoren (unter vielen anderen: Jürgen Becker, Thomas Bernhard, Jürgen Habermas, Peter Handke, Uwe Johnson, Wolfgang Koeppen, Hans Mayer, Alexander Mitscherlich, Martin Walser, Peter Wapnewski und Peter Weiss) nach Frankfurt geladen hatten, um den Suhrkamp-Chef Siegfried Unseld zu ehren, [. . .] wurde eine der Festreden von Max Frisch gehalten.«
S. U. schildert das Fest, das am 8. Januar stattfindet, in seiner Chronik : »[. . .] es sollte ein Abend in der Siesmayerstraße sein, an dem alle Autoren und alle Mitarbeiter ohne Angehörige teilnehmen sollten [. . .] fast bot sich kein anderer Kreis an, denn nichts ist so schwer, als unter Autoren oder Mitarbeitern auszuwählen. Und doch machte ich hier, hoffentlich zum letzten Mal, die Erfahrung, daß eine so große Ansammlung intellektueller Substanzen und Potenzen – es waren etwa 120 Autoren, Übersetzer, Herausgeber, Illustratoren, Erben, Nachlaßverwalter da – fast eine Art
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