Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld
Widerspruch in sich selbst ist. Der Autor will nun einmal als Einzelner gesehen werden, und hier war die Gefahr groß, daß er sich in einer ›Masse‹ verschwunden, ja ausgelöscht sah. Es gehört jedoch zu dem Schönen dieses Abends, daß hier ein Gemeinsames zwischen Autoren und Mitarbeitern bestand, es kamen nicht solche Gefühle manifest auf.«
[344; Anschrift: Ohlsdorf]
Frankfurt am Main
18. Januar 1977
Lieber Thomas Bernhard,
Sie hatten Frau Doufexis auf den Abdruck des »Minetti« in »Theater heute« angesprochen. Ich hatte von dem Vorgang keine Kenntnis. Es stellt sich jetzt heraus, daß Rudolf Rach die Genehmigung gegeben hat. Das Honorar, das Herr Rach vereinbarte, betrug DM 1.000.—. Der Betrag ist jetzt hier eingegangen.
Ich bin nicht sehr glücklich über diesen Vorgang und hätte den Text auch lieber für unsere Publikation allein reserviert gesehen. Aber vielleicht ist das nun nachträglich keine allzu große Panne. 1
Herzliche Grüße,
Ihr
[Siegfried Unseld]
1 Bei seinem Besuch in Frankfurt am 8. Januar weist Th. B. Renate Doufexis und Helene Ritzerfeld darauf hin, daß im Oktober-Heft des Jahres 1976 von Theater heute ohne seine Genehmigung Minetti abgedruckt worden sei.
[345; Anschrift: Ohlsdorf; Telegrammnotiz]
Frankfurt am Main
19. Januar 1977
Erbitte dringlich Ihren Anruf – Gruß Unseld
[346; Anschrift: 〈Ohlsdorf〉; Telegrammnotiz]
Frankfurt am Main
24. Januar 1977
Erbitte Ihren Anruf – Gruß Unseld 1
1 In den Telefonaten, die auf die beiden Telegramme folgen, wird laut Notizen von Burgel Zeeh zum einen Organisatorisches zum Treffen in Triest, zum andern die Frage besprochen, ob Th. B. am 30. Januar bei einer Gedenkstunde für den am 18. Januar verstorbenen Carl Zuckmayer im Interims-Theater des Schauspielhauses, Corso, in Zürich sprechen möchte.
Unter dem Datum des 30. Januar beschreibt S. U. in seiner Chronik die Zürcher Veranstaltung: »Thomas Bernhard spricht sein Gedenkwort. Es ist ein Thomas-Bernhard-Text; er liebte Zuckmayer, und Zuckmayer liebte ihn. Kein anderer habe ein so großes Verständnis für seine Prosa gehabt wie Zuckmayer, meinte Bernhard. Aber der Widerspruch (der innere Widerspruch) zwischen ihm und Zuckmayer ist eklatant.«
Th. B. schreibt seine Rede am Tag vor der Gedenkstunde per Hand auf Briefpapier des Hotels Europe in Zürich; nach der Veranstaltung schenkt er das Redemanuskript S. U. Der Text lautet:
»Verehrte Anwesende, ich spreche über einen Freund und glücklichen Menschen, der mein eigenes Leben von der frühesten Kindheit an begleitet und auf die natürlichste Weise erkannt und behutsam akzeptiert und respektiert hat. Die Gegen sätze, die Un heimlichkeit meinerseits wie auch seinerseits, waren die jahrzehntelangen Zeugen unserer Zuneigung.
Er ist am Ziel, weil der Tod unser Ziel ist.
Der Tod ist das Ziel – in diesem Gedanken intensivieren und motivieren wir unser Leben. Der Tod ist uns die Existenzbestätigung durch die lebenslängliche Unnachgebigkeit, Unermüdlichkeit, Unbestechlichkeit. Worin wir selbst, auf unser einziges Ziel, auf den Tod bezogen, in Wahrheit und in Wirklichkeit existieren ist (zuerst) nichts als die Todes angst , dann die Todes bereitschaft , schließlich das Todes bewußtsein . Wir kennen den Weg, wir gehen ihn naturgemäß , gegen alles . Am Ende allen Denkens ist der Tod unser Bewußtsein, Klarheit die Fragestellung.
— Diesen Freund, Charakter, Künstler, Dichter, habe ich, denke ich, immer verstehen dürfen, lieben müssen!
Er ist am Ziel! Wir existieren unnachgebig, unerbittlich auf unser Ziel zu naturgemäß . Er wird, auf seine wohlgemerkt zu allen Zeiten seltene folgerichtige naturgemäße Weise in meinem Leben und also Denken sein.
Er hatte, was meine Arbeit betrifft, die Empfindsamkeit wie kein zweiter. Das sage ich hier ganz ausdrücklich und voller Dankbarkeit. Er war in sich selbst – ohne Vor urteil!! In den ›langen Wegen‹, in dem schmalen Buch, in welchem ich sehr oft und sehr gern gelesen habe, schreibt er: ›in der Begegnung selbst steht keine Bleibe. Sie trägt den Zug des Vorübergehens in ihrem Wesen. Aber ihr Kern ist das Ereignis des Einander-Gewahrwerdens. Ihr Ziel ist der Schritt vom Gewahren zum Erkennen .‹«
[347; Anschrift: Ohlsdorf]
Frankfurt am Main
4. Februar 1977
Lieber Thomas Bernhard,
Sie erkundigen sich nach den Absatzziffern für »Watten«: Der Band erschien in der edition suhrkamp 1969. Wir haben eine Auflage von
Weitere Kostenlose Bücher