Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld
sicherlich zu Ihnen gedrungen. Ich habe von mir aus den wirklichen Versuch unternommen, Herrn Dr. Braun zum Hierbleiben zu bewegen, und mit mir haben dies auch in eingehenden Gesprächen Günther Busch, Karl Markus Michel und Martin Walser versucht. Doch Herr Dr. Braun blieb bei seiner Entscheidung, obschon er mir ausdrücklich bestätigte, daß er in all den verflossenen Jahren seine Arbeit vollkommen selbständig und ohne jegliche Behinderung meinerseits durchführen konnte.
Für mich entsteht dadurch eine schwierige Situation. Mein vollkommenes Vertrauen in die Arbeit von Herrn Dr. Braun und damit das Delegieren aller Aufgaben an ihn erweist sich nun als eine Art Bumerang, weil es so scheinen könnte, als läge mir wenig an der Entwicklung des Theaterverlages und wenig auch an den Beziehungen zu den Autoren des Theaterverlages. Das ist nicht der Fall, aber der Theaterverlag war eben die Domäne von Herrn Dr. Braun. Um so mehr möchte ich Ihnen jetzt sagen, daß ich die allergrößten Anstrengungen unternehmen werde, die Entwicklung des Theaterverlages Suhrkamp so fortzusetzen, wie dies in den letzten Jahren geschehen ist. Für den administrativen Fortgang wird Frau Bothe bürgen, die das Metier nun seit Jahren kennt. Martin Walser hat sich bereit erklärt, für eine Übergangszeit die dramaturgische Leitung zu übernehmen. Das ist eine Zwischenlösung, die dazu dienen soll, in Ruhe einen Nachfolger suchen zu können und diesem die Gelegenheit zu geben, sich einzuarbeiten. Es ist selbstverständlich, daß wir als definitiven Nachfolger für Herrn Dr. Braun nur einen Mann bestimmen werden, der das Vertrauen der Autoren des Verlages hat.
Lieber Herr Bernhard, das ist wiederum eine absurde Geschichte. Ich verstehe die Motive von Herrn Dr. Braun nicht. Doch Sie können sicher sein, daß wir alles daransetzen, die Arbeit ungestört fortzuführen, und für Ihr Stück und auch die hoffentlich folgenden werden wir alle und ich persönlich im besonderen uns mit großer Aktivität und Passion einsetzen.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Siegfried Unseld
[62]
Ohlsdorf
5. 2. 69
Lieber Dr. Unseld,
ich bin in so guter Arbeitsverfassung, dass mich auch die grösste Absurdität nicht am Boden zerstören kann. Ich glaube, wenn ich überhaupt an irgendetwas glaube, wenn man in Betracht zieht, dass man an nichts mehr glauben kann, an den ruhigen Kopf.
In Deutschland ist die Kopflosigkeit ausgebrochen, eine Krankheit, die immer noch geheilt worden ist.
Durch Deutschland geht der Todernst, aber er ist lächerlich. Ich habe nicht die geringste Veranlassung, den Verlag, in welchem ich mich bis jetzt gegen die natürlichsten Widerstände habe immer durchsetzen können und auch in Zukunft durchsetzen werde, zu verlassen.
Allerdings, ich muss jetzt einen grösseren Renner machen
Ihr
Thomas Bernhard
[63; Anschrift: Ohlsdorf]
Frankfurt am Main
10. Februar 1969
Lieber Herr Bernhard,
ich bedanke mich für Ihren Brief vom 5. Februar. Am vergangenen Sonnabend haben einige Autoren des Theaterverlages (Handke, Sperr, Reinshagen, Ziem, Runge usw.) mit Dr. Braun sich entschlossen, einen neuen Theaterverlag Braun zu gründen. Wie das im einzelnen sein wird, weiß ich nicht. Aber viel anders wird der Verlag nicht gehen können, und ich glaube kaum, daß er seinen Autoren durch eine Gewinnbeteiligung mehr Geld zuführen wird. Ich fürchte eher das Gegenteil. Ich selbst verliere natürlich nur ungern die Aufführungsrechte von Handke. Er war bei mir und hat sich lange erklärt. Er selbst sieht die Sache als eine Art »Spiel« an, nun ja. 1
Seien Sie fest überzeugt, daß wir uns sehr um »Boris« bemühen werden.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Siegfried Unseld
1 Der Spiegel berichtet am 17. Februar 1969 unter der Überschrift Verlag der Autoren. Gebrochenes Bein : »Während der ersten Suhrkamp-Krise im vergangenen Herbst [siehe Brief 54;], als die Lektoren Boehlich, Widmer und Urban ausschieden [. . .], handelte Braun mit Unseld einen Kompromiß aus. Aber es zeigte sich, daß die neue ›Lektoratsversammlung‹, die alle wichtigen Verlagsentscheidungen demokratisieren sollte, de facto ohne die von den Reformern angestrebten Konsequenzen blieb. Als Unseld in einem Interview mit ›Christ und Welt‹ frohlockte, in seinem Verlag sei eigentlich alles beim alten geblieben, zog der enttäuschte Braun die Konsequenz: Er bat um Entlassung.« Am 8. Februar 1969 treffen sich in Frankfurt Peter Handke, Hartmut Lange,
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