Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld

sondern ein Prosastück für sich im Umfang von »Ungenach«, etwas darüber, mit dem Titel »Watten« (ein Kartenspiel) veröffentlichen. (edition).
    Die Frage, ob es klug ist, den Roman, der meine augenblicklichen Kräfte in Anspruch nimmt, auch noch heuer herauszugeben, nachdem das Stück, die Erzählung und »Verstörung« in der BS, was mich besonders freut und natürlich freut mich alles, heuer kommen, muss ich für mich mit einem klaren Nein beantworten.
    Bei dieser Gelegenheit muss ich sagen, dass ich einem alten Freund, »Phantastischer Realist« aus Wien, drei kurze Prosastücke, die wir im Verlag früher einmal ausgeschieden haben, für einen bibliophilen Band seiner Zeichnungen im Residenzverlag, gegeben habe, der, so hoffe ich, die geringste Beachtung finden wird, die er verdient. 1
    Ich bitte also um Reservierung des Oktobertermins für »Watten«, mich mit dem »Boris« nicht in der fürchterlichsten Unklarheit zu lassen, der »Verstörung« einen Ihrer schönen schwarzen Bauchgürtel zu geben und tatsächlich darüber nachzudenken und eine Debatte »abzuführen«, ob der Roman, den ich zweifellos, krepiere ich nicht plötzlich, im spätern Frühjahr fertig habe, nicht doch erst 70 erscheinen soll. Ich habe die Vision, meine Arbeiten fressen sich 69 gegenseitig auf und zurückbleibt ein stupider gelähmter Autor.
    Herzlichst Ihr
    Thomas Bernhard

    P. S.: Was ist mit »Aus aufgeschriebnen Träumen«? Handelt es sich dabei um einen Ihnen gerade eingefallenen und schon wieder vergessenen Einfall, oder um eine grausame Realität?
    1   1969 erscheint im Residenz Verlag von Th. B. der Band An der Baumgrenze. Erzählungen. Zeichnungen von Anton Lehmden . In ihm sind enthalten: An der Baumgrenze , die Titelerzählung, und Der Kulterer sowie Der Italiener . Ein Fragment . An der Baumgrenze ist zuerst publiziert in: Jahresring 67/ 68 , Stuttgart, S. 46-52, Der Kulterer (unter dem Titel Der Briefträger ) in: Neunzehn deutsche Erzählungen , München 1963, S. 65-87, Der Italiener im Insel-Almanach auf das Jahr 1965 , S. 83-93. Th. B. schreibt S. U. bei einer Begegnung im August 1969 in Ohlsdorf als Widmung in dieses Buch: »ich gehe nicht mehr fremd!« (Siehe Abbildung 3.) Zu Text und Werkzusammenhang von An der Baumgrenze siehe Th. B.: Werke 14 , S. 99-107, bzw. 543-556, zu Der Kulterer und Der Italiener Th. B.: Werke 11 , S. 356-371.)

[60; Anschrift: Ohlsdorf]
     
    Frankfurt am Main
    23. Januar 1969
    Lieber Herr Bernhard,
    schönen Dank für Ihren Brief vom 12. Januar. Mich hält eine Rückfallgrippe in Bann und Bett, so kann ich die Welt aus der Perspektive eines visiologischen |diktiert: misologisch| Kranken ansehen . . .
    Wir reservieren gerne eine editions-Nummer für »Watten« (für November). Das Programm ist bis einschl. Oktober schon fixiert und angekündigt, das neue Programm beginnt November 1969. Ich freue mich sehr, daß wir in der edition diesen Text bringen können.
    Aber, lieber Herr Bernhard, das sollte uns doch nicht abhalten, zu guten Zeiten im Herbst Ihren Roman herauszubringen. Wenn Sie ihn fertig haben, das ist freilich die wichtige Frage. Ich glaube nicht, daß hier eine abträgliche Kumulierung vorläge, im Gegenteil, und ich bitte Sie, meiner Erfahrung wenigstens einmal in diesem Punkte zu vertrauen. Die Dinge stützen sich gegenseitig gerade auch, wenn wir eine schöne Uraufführung für den »Boris« bis dahin erhalten, zumindest vereinbaren können. Vielleicht gelingt uns dann konzentriert der gewünschte Durchbruch.
    Es gibt noch einen anderen Gesichtspunkt: die beiden Romane , die den Herbst markiert hätten, Romane von Johnson und Grass, werden aller Voraussicht nach nicht fertig. 1 Es wird kaum etwas geben. Sie stünden allein da, wenn Sie einen Roman vorlegen könnten. Das wäre eine unvergleichliche Situation. Überhaupt Ihre Situation, die eines produktiv Schreibenden, während Ihre Kollegen ja immer mehr in hypertropher Skepsis unproduktiv werden.
    Ich traf neulich im Zuge den Regisseur Hans Hollmann und erzählte ihm von »Boris«. Er war gleich Feuer und Flamme und möchte dringlich das Stück inszenieren. Wir wollen sehen, wie es sich realisiert.
    Mit freundlichen Grüßen
    |Ihr verstörter| Unseld
    1   Der erste Band von Uwe Johnsons Jahrestage erscheint im September 1970.

[61; Anschrift: Ohlsdorf]
     
    Frankfurt am Main
    3. Februar 1969
    Lieber Herr Bernhard,
    die Nachricht, daß Herr Dr. Braun aus dem Suhrkamp Verlag ausscheidet, ist