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Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld

Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld

Titel: Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund Fellinger
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entschuldigen Sie also den Überfall mit diesen Papieren.
    Mit freundlichen Grüßen
    Ihr
    Siegfried Unseld

    [Anlagen 1 ]
    1   Der Brief enthält acht teils mehrseitige Anlagen: Briefe, Zeitungsmeldungen und Notizen über die »Lektorenrevolte« im Suhrkamp und Insel Verlag, die von dritter Hand numeriert sind. Sie steht im Kontext der teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der Außerparlamentarischen Opposition (vor allem dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund SDS) und der Messeleitung (die die Polizei zu Hilfe ruft) während der Frankfurter Buchmesse 1968 (19.-24. September). S. U. übernimmt die Rolle des Vermittlers zwischen den Fronten (die sich auch innerhalb des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels auftun). Am 27. September 1968 schreiben neun Lektoren des Suhrkamp und Insel Verlags (darunter Anneliese Botond) einen Brief an S. U., in dem sie dessen Verhalten während der Messe als Ablehnung der in den Büchern der Verlage Suhrkamp und Insel vertretenen Thesen kritisieren. Sie schlagen deshalb eine Lektoratsverfassung vor (Anlage 1). Diese (verstanden als Vorstufe einer »auf demokratischem Weg zu beschließenden Betriebsverfassung«) sieht vor, daß das Verlagsprogramm per Mehrheitsentscheid (S. U. besitzt eine Stimme, nur bei Stimmgleichheit sollte seine Meinung den Ausschlag geben) verabschiedet wird (Anlage 2). Für den Nachmittag des 14. Oktober lädt S. U. zu einem Treffen von Autoren, Lektoren und anderen Verlagsmitarbeitern: Dessen Ergebnisse halten aus der Sicht der Lektoren ein Aide mémoire (Anlage 6) sowie eine Pressenotiz (Anlage 4) fest. Sie erscheint in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 16. Oktober (Anlage 5). S. U. bestreitet die adäquate Wiedergabe der Beschlüsse des 14. Oktober in einer Notiz zum Aide mémoire (Anhang 7). Schließlich bietet S. U. am 18. Oktober den Lektoren Walter Boehlich, Günther Busch und Karl Markus Michel an, sie bei Gründung eines eigenen Verlags zu unterstützen (Anhang 8). Die drei nehmen dieses Angebot nicht an. Nicht erhalten ist die Anlage 3: Es handelt sich, wie ein vergleichbarer Brief an Uwe Johnson nahelegt, um einen Artikel von Jürgen Serke mit der Überschrift Welt größter Büchermarkt in letzter Minute gerettet . Sämtliche Anlagen sind gedruckt in Uwe Johnson—Siegfried Unseld. Der Briefwechsel , S. 1137-1148. Zusätzlich liegt dem Brief die Kopie eines Briefes von S. U. an Ernst Bloch vom 21. Oktober 1968 bei, in dem er seine Haltung zur Lektorenrevolte darlegt (gedruckt in: »Ich bitte um ein Wort . . .«. Der Briefwechsel Wolfgang Koeppen—Siegfried Unseld , S. 171-178). Ende 1968 scheiden die Lektoren Walter Boehlich, Klaus Reichert, Peter Urban und Urs Widmer aus dem Verlag aus. 1969 gründet Karlheinz Braun den Verlag der Autoren, Ende 1970 verläßt Anneliese Botond den Verlag.

[55]
     
    Ohlsdorf
    16. 12. 68
    Lieber Siegfried Unseld, Doktor, Verleger,
    ich kann nicht nach St. Anton und also auch nicht in Ihr feiertägiges Domizil kommen, weil mich mein Roman vollkommen in Anspruch nimmt, mein ganzes Interesse.
    Ich höre, was mir nichts ausmacht, überhaupt nichts vom Verlag, ich weiss also gar nicht, mit was für welchen Gespenstern er augenblicklich beschäftigt ist, mit literarischen, politischen etc., dafür hat mir aber heute das Finanzamt eine Zahlungsaufforderung über 57.000.— österreichische Schilling geschickt, einzuzahlen bis 15. Januar 1969. Tatsächlich erschüttert mich diese Tatsache, weil ich ja in bester Form bin, nicht, aber ins Gefängnis kommen will ich im Augenblick, da ich so gut beschäftigt bin in meiner eigenen Kerkerzelle, auch nicht. Und von Haus und Hof kommen auch nicht. Ich frage Sie also, was zu tun ist???
    Die Tatsache, dass ich den Betrag einzuzahlen habe, ist nicht aus der Welt zu schaffen, durch nichts mehr.
    Ich will aber auch nicht mehr einen neuen Vorschuss in Anspruch nehmen, d. h. auf meine »Poesien«.
    Mein Vorschlag ist der, und er erscheint mir »angesichts« der Tatsache, dass ich doch ein aktiver Mensch bin, akzeptabel für Sie wie für mich: dass ich neun Monate, d. i. ein dreiviertel Jahr lang, eine Arbeit für Sie mache, in erträglichen Formen also lektoriere etc. für ein »Gehalt« von DM 1.000.— im Monat, das vorauszuzahlen ist.
    Anders kann ich mir mein Ausmisten nicht vorstellen.
    Ich erwarte in diesem Punkt Ihre eheste Antwort, weil ich sonst tatsächlich unruhig werde.
    Unruhe aber kann ich mir jetzt nicht leisten, weil

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