Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld
das Stück diese Zeit stand? […]
Burgel Zeeh hatte am Sonntag ein Voraus-Exemplar der ›Auslöschung‹ mitgebracht. Ich bestellte [im Hotel Fuschl] Champagner und übergab Thomas Bernhard dieses Buch: ›Es ist Ihre beste Prosa.‹ Er: ›Ja, vielleicht, wie damals «Amras».‹ Er glitt zufrieden über den Umschlag, der wirklich etwas Selbstverständliches hat, und er strich fast zärtlich über die Seiten. Als wir ihn in Ohlsdorf besuchten, lag das Buch auf dem neben Stühlen einzigen Mobiliar, einer Art Sekretär. Hier nahm sich das Buch mit dem dunkelgrünen Umschlag und der zitronengelben Schrift ganz bernhardisch aus. Alles im Zimmer war auf diese Farben eingestellt, und das Buch lag wie das Buch der Bücher, die Bibel, prominent da. So feiert dieser Autor sein Buch. […]
Abends die Uraufführung ›Ritter, Dene, Voss‹, gespielt von Ritter, Dene, Voss. Für mich wieder ein faszinierendes Erlebnis: zum ersten Mal seit langer Zeit ein Theater, das echtes Theater war, ein Text brillant, witzig und brillant […] gespielt. Keine Sekunde irgendein Gefühl einer Länge und dies mit Pause an die vier Stunden. Und es ist einfach und kompliziert, es ist kein Stück über die Schauspieler Ritter, Dene, Voss, sondern eines über Wittgenstein, das Genie Bernhard ist von diesem Genie einfach ergriffen, im Sinne von Angezogen- und Abgestoßensein. Weil er aber in Bochum diese drei Schauspieler gesehen hat und sie ihm imponiert haben, schrieb er sein Stück auf diese drei Personen zu, aber es ist auch nicht so sehr ein Stück über Ludwig Wittgenstein, wie Bernhard ihn sieht, sondern ein Stück von Bernhard über Bernhard. Einfach kompliziert.
Nach der Aufführung telefonierte ich mit ihm in Ohlsdorf. Er hat mir zwar gesagt, er sei im Bett und ginge nicht ans Telefon, aber er war sofort da, und er war glücklich, als ich ihm von der höchst gelungenen Aufführung und von dem immensen Beifall des Publikums erzählen konnte.«
[498; Anschrift: Ohlsdorf]
Frankfurt am Main
8. September 1986
Lieber Thomas,
ich schicke Ihnen die Seite 3 der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«. Sie sehen, wir beginnen die Werbung planmäßig, und wir werden sie verstärkt weiterführen. Sie werden das auch in österreichischen Zeitungen bemerken.
Die Seite 3 ist die am meisten beachtete Anzeigenseite und deshalb »naturgemäß« auch die teuerste. 1
Herzliche Grüße
Ihr
Siegfried Unseld
Anlage 2
1 Über die Inserate zur Auslöschung heißt es in einer Telefonnotiz von Burgel Zeeh am 8. September: »Die ›FAZ‹-Anzeige hat er gesehen, und dann rein zufällig, beim nochmaligen Durchblättern, die kleine Anzeige in der ›Presse‹. Das Plakat hat er noch nirgends gesehen, er erbat ein ›Beleg‹-Plakat, daraus habe ich ihm drei gemacht.
Frage natürlich, wie es Ihnen geht. Grüße.«
2 Die erste Anzeige zur Auslöschung erscheint am 9. September in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung .
[499; Anschrift: Ohlsdorf]
Frankfurt am Main
11. September 1986
Lieber Thomas,
ich erhalte eben den neuen Prospekt des Residenz Verlages zugeschickt; in ihm sind auf S. 5 die fünf Bände der Salzburg-Prosa und »Der Italiener« aufgeführt.
Ich entnehme den Zeitungen, daß Herr Schaffler nun definitiv aus dem Residenz Verlag ausgeschieden ist. Wäre dies jetzt nicht doch ein Anlaß, die Kündigung definitiv zu betreiben? Vielleicht ist das Bündigste das Beste: Sie beziehen sich auf Ihre früheren Kündigungen und teilen dem Residenz Verlag mit, daß Sie die Rechte an uns übertragen haben. Wir werden ja sehen, wie er reagiert, aber ich meine, daß das jetzt doch möglich sein könnte.
Wir zehren immer noch von dem herrlichen Eindruck, den uns Ohlsdorf wiederum gemacht hat. 1
Herzliche Grüße
Ihr
Siegfried Unseld
1 Am 27. und 28. September ist umgekehrt Th. B. in Frankfurt, Anlaß ist der 62. Geburtstag von S. U. In der Chronik heißt es unter dem entsprechenden Datum: »Dann, ab 11 h, treffen die Gäste ein. Autoren: Jürgen und Rango Becker, Jurek und Christine Becker, Thomas Bernhard, Ulla Berkéwicz, Wolfgang Koeppen, Martin und Käthe Walser […]. Um 12 Uhr sind alle versammelt, und es tritt auf Edith Clever. Sie liest das, was ich mir für diesen Tag gewünscht habe: nämlich die letzten Seiten des ›Ulysses‹. Ich führe sie ein, lese, die obszönen Stellen latinisierend, Joyces Brief an Frank Budgen vom 16. August 1921. […] Edith Clever liest die zugegebenerweise kühnen Stellen so hervorragend,
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