Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld
daß nur einige Prüde schockiert sind. […] Es entwickelt sich eine Gesellschaft, die Harmonie miteinander empfindet. Selbst Thomas Bernhard, der eigentlich abreisen wollte, weil er die Hotelrechnung bezahlen mußte und der Suhrkamp Verlag also nicht eintrat, schien dann doch noch zufrieden: freilich mußte ich ihm auch dann noch 80 TDM in die Hand drücken.« Kurz darauf, am 9. Oktober, reisen S. U. und Burgel Zeeh nach Ohlsdorf. »Das Fernsehteam [für ein Filmporträt von S. U.] ist da und nimmt Bernhard und mich im Vierkanthof auf. Freundlicher Bernhard.« ( Chronik , 10. Oktober)
[500; Anschrift: Ohlsdorf]
Frankfurt am Main
16. Oktober 1986
Lieber Thomas,
der neue Leiter des Theaterverlages heißt Rainer Weiss. Er besitzt mein Vertrauen. Er ist intelligent, witzig, einfallsreich. Er wird sich in diese Materie, die ihm nicht so ganz fremd ist, in Kürze einarbeiten. Er schätzt Ihre Arbeiten, und Sie dürfen sicher sein, daß er Ihr Interesse so wahrnehmen wird, wie Sie dies wünschen.
Eine Bitte oder eine Frage: Sollten Rainer Weiss und ich nicht nach Wien fliegen und uns mit Ihnen und Peymann an einen Tisch setzen?
Ich hielte das für eine gute Sache.
Herzliche Grüße
Ihr
Siegfried Unseld
Anlage 1
1 Die Anlage hat sich im Nachlaß von Th. B. nicht erhalten. Es handelt sich vermutlich um eine »Presseerklärung« des Suhrkamp Verlags vom 16. Oktober an »Autoren, Mitarbeiter, Herausgeber des Theaterverlages / An die mit dem Theaterverlag zusammenarbeitenden Theater, Agenturen und Verlage«: »Der Suhrkamp Verlag, Frankfurt, hat im Juni dieses Jahres bekanntgegeben, daß Rudolf Rach am 31. Oktober die Leitung des Suhrkamp Theaterverlages abgibt, um in Frankreich als Verleger des Verlages L’Arche, Paris, zu arbeiten. […]
Am 1. November wird Rainer Weiss die Leitung des Theaterverlages übernehmen. Rainer Weiss, Jahrgang 1949, Schüler von Ernesto Grassi, promovierte zum Dr. phil., arbeitete 1 Jahr als Werbeleiter und danach 5 Jahre als Lektor im Piper Verlag, München. Seit April 1985 betreut er das deutschsprachige Lektorat des Suhrkamp Verlages. Mit der Übernahme der Leitung des Theaterverlages Suhrkamp durch Rainer Weiss wird der Suhrkamp Verlag neue Initiativen von Autoren gegenüber deutschen und ausländischen Theatern entwickeln.«
[501; Anschrift: Hotel Equador, Cascais]
Frankfurt am Main
25. November 1986
Lieber Thomas,
die Äußerungen des »Mönchs auf dem Berge« sind, wenn sie so gefallen sind, töricht, dumm, unverzeihlich, geschmacklos. 1
Wir reagieren darauf mit einer Salve für Thomas Bernhard, z. B. auf S. 3 in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« vom Wochenende 22./23. November, die Sie sicherlich – auch in Madeira – gesehen haben.
Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt. Wie ich höre, sind die Umstände die naturgemäß besten.
Herzliche Grüße
Ihr
Siegfried U.
1 S. U. bezieht sich auf die Titelgeschichte des österreichischen Nachrichtenmagazins profil vom 17. November 1986 über Peter Handke. Im Nachlaß von Th. B. hat sich eine Kopie des mehrseitigen Artikels von Sigrid Löffler mit dem Titel Der Mönch auf dem Berge erhalten, in der Th. B. eine Stelle mit Ausrufe- bzw. großen Fragezeichen gekennzeichnet hat. Sie beginnt mit einer in direkter Rede wiedergegebenen Handke-Äußerung:
»›Was der Thomas Bernhard macht, in Ehren, aber für mich ist das keine Literatur.‹
Ach ja, Thomas Bernhard, der Raumverdränger der österreichischen Literatur. ›Seine Suggestion besteht darin, daß er ganz gut Vorurteile ausnützen und montieren kann. Das wirkt auf mich wie ›Spiegel‹-Schreibe. Ich denk’ oft, das ist unser bester ›Spiegel‹-Korrespondent in Österreich. Weil sie erzählerisch und formal überhaupt keine Probleme abhandeln, kommen mir seine Sachen fast verderblich vor für die Kunst. Seine letzten Bücher fand ich fast sträfliche Machwerke. Außer seiner Suggestivität, die ja seine einzige und große Wirkung ist, war da nichts. Aber in seinem neuen Buch ›Auslöschung‹ seh’ ich plötzlich Ansätze zu Schilderungen, zu begeisterten Schilderungen von Orten und Räumen, was für mich ja das Wichtigste ist in der Literatur. Sonst ist es ja schwer, bei dieser Schloßherren-Dramaturgie nicht an ›Schloß Hubertus‹ zu denken, nur ins Negative gewendet. Aber bei diesen Schilderungen der Orangerie oder der Küche war ich ganz froh und befreit, weil ich ein Gefühl von Ebenbürtigkeit haben konnte. Ich
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