Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld
1987
und
2. ›Christine Lavant, Gedichte‹, BS 970 (Dezember)
Wir möchten das bitte verstehen, er sitzt an einem Brief an Frau Borchers, er entschuldige sich vielmals. So käme in diesem Jahr nur die ›Elisabeth II.‹, im nächsten Jahr dann ein Donnerschlag.«
Der angekündigte Brief an Elisabeth Borchers trägt ebenfalls das Datum 13. Mai und lautet:
»Liebe Elisabeth Borchers,
ich kann die Lavantgedichte nicht herausgeben; nach wochenlanger intensiver Beschäftigung damit, spricht jetzt alles in mir dagegen und ich muss die Idee aufgeben. So bleibt es nur bei der Variation eines nach Jahren wiederaufgenommenen Themas, aus dem ich gelernt und Sie hoffentlich nicht zuviel Ärger davongetragen haben.
Auch ›In hora mortis‹ erscheint nicht. Auch dieses Vorhaben bleibt in zweimal gesetztem Umbruch stecken für immer.
Für das für Sie wahrscheinlich doch abrupte Aufgeben dieser zwei leidigen, aber nicht weltbedeutenden Vorhaben, bitte ich ganz und gar inständig um Nachsicht.
Wäre ich in Frankfurt, meine Lage wäre nicht leichter; bei einem Mittagessen mit Ihnen hätte ich zu dem Vergnügen an sich wahrscheinlich die grösseren Chancen, auf elegante Weise davonzukommen, als auf dem Papier.
Mit eingezogenem Kopf Ihr
Thomas Bernhard«
[505]
Ohlsdorf
18. Mai 87
Lieber Siegfried Unseld,
Ihr Brief vom 13. zwingt mich, nicht nur »In hora mortis«, sondern auch die Gedichte der Lavant herauszugeben. »In hora mortis« wie geplant und die Lavantgedichte als »GEDICHTE, herausgegeben von Thomas Bernhard«. Ich habe nichts zu verbergen und nichts zu verstecken. Ich schreibe nur kein Nach- oder Vorwort, denn es gibt ja auch in diesem Fall nichts zu erklären oder zu beweisen.
Mit gleicher Post schicke ich die 79 Lavantgedichte, die ich ausgesucht und in der Reihenfolge numeriert habe. Gesetzt werden sollten sie im Schriftgrad wie »In hora mortis«, das tut ihnen gut.
Ihr Brief fiel in eine sehr gute Stimmung, wie Sie sehen und machte mich gleichzeitig darauf aufmerksam, dass ich Ihnen noch gar nicht ausdrücklich für Ihren Portugalbesuch gedankt habe, der einen ersten Platz in meiner Erinnerung hat, sofort ein Glücksgefühl auslöst. Auch will ich meine doch sehr starke Gefühlsbewegung nicht verschweigen, die ich in Frankfurt gehabt habe unter den Fürsorgeschwingen des Verlegers und seiner Getreuen. 1 Ich glaubte an diesem Tag tatsächlich, in einem Paradies angekommen zu sein. Sie sehen an diesen Zeilen, wie weit hinein in christlich-katholisches Wortgefüge ich durch die Beschäftigung mit den Lavantversen schon gekommen bin. Wie gut, dass ich immer ein Meister im Entspringen aus jeder Haft gewesen bin.
Über die zwei in Frage stehenden »Bände« gibt es, glaube ich, jetzt keinerlei Korrespondenz mehr; ich bitte nur um den Umbruch der Lavantgedichte, wenn er gemacht ist.
Ich hätte grosse Lust, einmal nur über Nacht nach Frankfurt zu kommen von Wien aus, wohin ich in den nächsten Tagen wahrscheinlich fahren werde, wenn mir das Land zu schön ist und dadurch unerträglich. 2
Herzlich Ihr gehorsamer
Thomas B.
1 Th. B. spielt hier auf seine von gesundheitlichen Beschwerden beeinträchtigte Rückreise aus Portugal an, auf der er am 26. März 1987 einen Zwischenstop in Frankfurt einlegt. S. U. schreibt darüber in der Chronik unter dem Datum des 26. März:
»Aufregungen um Thomas Bernhard: Er sollte an diesem Tag aus Lissabon zurückkehren und nach Wien weiterfliegen, aber ihm widerfuhr in Lissabon Schlimmes: er hatte Harndruck, aber konnte nicht urinieren. Stein oder Verwachsungen? Man wußte es nicht. Sein Bruder riet ihm dringend, eine Klinik aufzusuchen. Das tat er auch und mußte sich einen Katheter einführen lassen. Er kam am Nachmittag in Frankfurt an und hatte nur immer einen Ausdruck: Ich bin glücklich, ich bin der Hölle entronnen. Vier Stunden ›behandelten‹ Burgel Zeeh, Raimund Fellinger und ich den Mann, der ja wirklich schwer krank war. Er war einerseits reizend, aber enorm geschwächt und sah wirklich nicht gesund aus. Ich brachte ihn noch an das Flugzeug. In Salzburg nahm sein Bruder ihn in Empfang und brachte ihn in eine Klinik, wo er einige Tage zubringen mußte.«
2 Auf dem Brief ist von dritter Hand vermerkt: »26. 5.« und »1. 6.« – beides Terminvorschläge für den Besuch von Th. B. in Frankfurt. Der 1. Juni wird als Datum des Kurzbesuchs festgelegt. In der Chronik heißt es unter diesem Datum: »Am Spätnachmittag ist Thomas Bernhard im Verlag.
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