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Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld

Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld

Titel: Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund Fellinger
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gleich besetzt habe. Wir waren in bester Stimmung. Ihre Zeilen machen deutlich, wie vernachlässigt gleichmäßig gute und kostbare Beziehungen oft sein müssen, wenn die, die davon zehren wie ich, nicht schreiben.
In besten Gedanken
Thomas B.«
Am 13. April sendet Th. B. seine Auswahl der Gedichte von Christine Lavant und bemerkt in einem Begleitbrief: »Unsere Dichterin [Christine Lavant] ist eine der wichtigsten und sie verdient, in der ganzen Welt bekannt gemacht zu werden.
Das melancholisch machende, geistlose und weltferne und -fremde Kärnten hat auf die beiden lyrischen Geschwister Bachmann und Lavant einen unseligen Andalusien-Effekt ausgeübt, das geisttötende, dumpf-machende Andalusien mit seiner menschenvernichtenden Natur hat auf die spanische Literatur genauso gewirkt, wie das ebenso geisttötende, dumpf-machende, menschenvernichtende Kärnten auf die deutsche.
Aus diesem fürchterlichen geistlosen Kärnten sind die Sehnsuchtsgedichte unserer beiden Lyrikerinnen entstanden.
Was die Lavant betrifft, so liegt zwischen absoluten Höhepunkten ihrer Erfindungen und also Höhepunkten der deutschen Lyrik, unglaublich viel Kitsch-Müll; Leerlauf-Gott und Massen-Mohn überschwemmen die Seiten der im Müller-Verlag veröffentlichten Bücher. Die Gedichte in ›Kunst wie meine …‹ sind fast alle abstossend.
Die katholisch-verlogene Strickweise ist kaum auszuhalten. Nachdem ich die scheusslichen Briefe, die schauerlich infantile sentimentale Prosa, die mehr Heuchelei als Notwendigkeit sind, vergessen habe, das Volkstümelnde und das kindisch-religiös-Verlogene, entstand in diesen Tagen bei Schneetreiben und Regen am Ende doch das Buch einer ganz und gar bedeutenden, wie gesagt wird, grossen Dichterin.
Der liebe Gott möge mir verzeihen, dass ich ihn so viel als möglich aus den vier Büchern [ Die Bettlerschale, Spindel im Mond, Der Pfauenschrei und Kunst wie meine ist nur verstümmeltes Leben ] verjagt habe. Immerhin treibt er auch in meiner Auswahl noch sein Unwesen.
Die Lavant war eine völlig ungeistige, sehr gescheite, durchtriebene. Sie wohnte auf der Betondecke eines Supermarktes an einer Strassenkreuzung in Wolfsberg mit einer Riesentankstelle und tippte ihre Gedichte gleich in die Maschine. Das ist für mich grossartiger, als das verlogene Weltfremdmärchen mit katholischer Talschlussromantik, das gottbefohlene, das um sie bis heute immer verbreitet worden ist.
Ludwig von Ficker, der die horrende Wittgensteinsumme an Trakl, Rilke und Konsorten verteilt hat, verbreitete vor allem dieses lyrische Schauermärchen bis zu seinem Tod mit grösster sentimentalkatholischer Vehemenz […].«

[504; Anschrift: Ohlsdorf]
     
    Frankfurt am Main
    13. Mai 1987
    Lieber Thomas,
    das waren keine guten Nachrichten, die Sie heute an Burgel Zeeh gaben. 1 Ich kann schon verstehen, daß es für einen Schriftsteller Phasen gibt, in denen man die eigenen früheren Arbeiten mißbilligt oder gar ablehnt, aber ich bin sicher, es kommen auch wieder Phasen, wo Sie sich zu dem, was Sie geschrieben haben, auch wieder öffentlich bekennen wollen. Sie dürfen sicher sein: diese Gedichte können bestehen. Sie mögen heute nicht mehr Ihr Ausdruck sein, darauf kommt es aber gar nicht an. Wichtig ist doch nur, daß Sie diese Dichtungen einmal geschrieben haben. Ich bitte Sie, das also noch einmal zu bedenken. Die Nummer der Insel-Bücherei steht für »In hora mortis« fest; der Titel ist angekündigt, der Buchhändler weiß Bescheid. Und also wartet die Welt.
    Bei Christine Lavant ist die Sache anders. Auf Ihren Wunsch hin haben wir Rechte eingeholt, sie wurden uns zunächst vom Verlag verweigert. Dann wandten wir uns an einen Erben, der im Hinblick darauf, daß Sie diese Auswahl machen, seinen Verlag bestimmt hat, uns doch die Rechte zu geben. Danach haben wir einen Vertrag abgeschlossen, der uns zur Herausgabe verpflichtet. Sie haben die Auswahl ja schon getroffen, wie ich weiß. Wir können diese Auswahl drucken ohne Vermerk auf den Auswählenden. Ob Sie mir die Reihenfolge Ihrer Auswahl bekanntgeben?
    Ich bitte um Verständnis für meine Bitten.
    Mit herzlichen Grüßen
    Ihr
    Siegfried U.
    1   S. U. bezieht sich damit auf ein Telefonat zwischen Burgel Zeeh und Th. B. am 13. Mai, dessen Inhalt sie in einer Telefonnotiz festhält:
»Ganz ohne Vorwarnung teilte er mir seine neueste und letzte und endgültige Entscheidung mit: er möchte die ›beiden‹ Bücher nicht machen, das sind:
1. ›In hora mortis‹, IB 2. Halbjahr

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