Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld
unsere Auslieferungsstelle Mohr-Berger den Band in der BS an Wiener Buchhandlungen aus. Nun erst konnten also Freunde und Gegner den Text kennenlernen. Das Theater mußte sich gegen die Unterstellung im Österreichischen Parlament wehren, es habe aus Angst vor Tumulten Karten nur an Sympathisanten gegeben. Das ist nicht der Fall. Freilich hatte Peymann Politiker, so den österreichischen Außenminister, als ›Freikartenschnorrer, die wir nicht brauchen im Theater‹, bezeichnet.
Beginn der Aufführung um 19 Uhr. Es ist auffallend ruhig, scheinbar entspannt. Aber als in der theatralisch schwachen ersten Szene Anneliese Römer als Wirtschafterin Zittel auftrat und die erste kritische Bemerkung zu Wien und Österreich machte, da gab es eine Pfeif-Orgie wie wohl nie in der Burg. Die Pfeif-Orgie rief nun den Beifall auf offener Szene hervor, und je höher die Pfeif-Orgie sich steigerte, um so mehr steigerte sich der Beifall zum Orkan, und im Duell des Protestes und der Zustimmung siegte besonders durch eine wohlkomponierte und vom Bühnenbildner Karl-Ernst Herrmann schön gestaltete zweite Szene das Ganze zu einem Triumph für Bernhard und Peymann. Statt zweieinhalb Stunden dauerte das Ganze fast fünf Stunden. In der Pause große Diskussionen, am Schluß Diskussionen, aber im Grunde genommen war alles erleichtert. Die Protestierenden wie die Sympathisanten. Am Schluß Ovationen für Schauspieler, für Peymann und für den zum ersten Mal und völlig überraschend auf die Bühne kommenden Thomas Bernhard. Es war auch für ihn ein bewegender Augenblick. Ein Schriftsteller wurde zum Repräsentanten des Landes.
Das Stück mag Schwächen haben, die Inszenierung nicht bis ins letzte durchgefeilt, aber was geboten wurde, war doch großartiges Theater. Ich sagte es am Schluß im Österreichischen Fernsehen: ein Triumph für das Stück und den Autor, ein Triumph für Peymann, aber auch ein Triumph für dieses Wiener Publikum.
Die Sonntags- und Montagszeitungen hatten nur ein Thema: Peymann-Bernhards Wiener Welttheater. Rolf Hochhuth in der ›Welt am Sonntag‹: ›Die Zuschauer standen auf vor dem Autor, dem am Freitag abend die Landsleute mit dieser Huldigung bestätigt haben, daß er seit dem Tode Lernet-Holenias der größte Dichter Österreichs ist.‹
Ein Triumph war es auch für den Schauspieler Wolfgang Gasser, der den Bruder von Professor Schuster verkörpert. Razumovsky wird in der ›FAZ‹ schreiben: ›Dieser Professor Robert hat Sätze zu sagen, die die Schulkinder hier, ob’s dem Autor paßt oder nicht, in Zukunft neben einigen Grillparzers werden auswendig lernen dürfen: «Die Österreicher sind vom Unglück Besessene; der Österreicher ist von Natur aus unglücklich – und ist er einmal glücklich, schämt er sich dessen und versteckt sein Glück in seiner Verzweiflung.»‹ Das Ganze, so Razumovsky, ›eine Art hohe Kunstpflege, eine Art Virtuosentum des Wutanfalls. Hier ist Bernhard deutlich Fortsetzer der österreichischen Literaturtradition von Raimund und Nestroy bis Doderer.‹«
3 Diese letzte Auslandsreise führt Th. B. bis zum Jahresende 1988 nach Torremolinos an die Costa del Sol.
[523; Anschrift: Wien; Telegramm]
Frankfurt am Main
24. November 1988
lieber herr bernhard
ich habe gestern ihren brief vom 20. november erhalten. fuer mich ist eine schmerzensgrenze nicht nur erreicht, sie ist ueberschritten. nach all dem, was in jahrzehnten und insbesondere in den beiden letzten jahren an gemeinsamem war, desavouieren sie mich, die ihnen gewogenen und fuer sie wirkenden mitarbeiter, und sie desavouieren den verlag. ich kann nicht mehr.
ihr siegfried unseld
[524]
Wien
25. November 88
Lieber Siegfried Unseld,
wenn Sie, wie Ihr Telegramm lautet, »nicht mehr können«, dann streichen Sie mich aus Ihrem Verlag und aus Ihrem Gedächtnis.
Ich war sicher einer der unkompliziertesten Autoren, die Sie jemals gehabt haben. 1
Ihr Sie sehr respektierender
Thomas Bernhard
1 Das ist nicht das Schlußwort zwischen Th. B. und S. U. Am 28. Januar 1989 – und damit fast genau zwei Wochen vor dem Tod von Th. B. – kommt es zu einem letzten Treffen in Salzburg, das S. U. im Reisebericht Salzburg, Samstag, 28. Januar 1989 dokumentiert:
»Es war neblig trüb am Morgen, als das Flugzeug startete, doch dann flog das Flugzeug stets über einer Wolkendecke, die die Sonne stark reflektierte und mich geradezu doppelt, von oben wie von unten, blendete. Blind-Sinkflug nach Salzburg,
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