Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld
plötzlich war der Flughafen da, hell und dunkel. Das Schöne und das Gefährliche gemischt.
Um 11 Uhr war ich mit Thomas Bernhard im ›Sheraton‹ verabredet. Als ich vor dem Hotel mit dem Taxi hielt, meldete das Österreichische Radio ›soeben 11 Uhr‹:
Er saß in der Halle, elegant englisch gekleidet, modisches rostrot-gestreiftes Hemd. Er spielte den reizenden und witzigen Charmeur, ich brachte ihm in einer Plastiktüte Calzium-Tabletten aus Spanien und einen Umschlag aus Frankfurt. Die Tabletten gibt es zwar in der Substanz, aber im Geschmack nicht in Österreich, er brauche diese Calzium-Tabletten, um seine Krämpfe abzufangen. Ich war im wahrsten Sinne des Wortes reserviert, wartete auf Erklärungen; er aber blieb bei seiner bemüht-witzigen Haltung. Er habe damit gerechnet, daß ich trotz AUA pünktlich dasein werde, seinem Bruder habe er erzählt, ich sei der pünktlichste Mensch der Welt. Um 14 Uhr würde ihn sein Bruder wieder abholen, was wir in drei Stunden nicht besprechen könnten, könnten wir überhaupt nicht besprechen. Ob ich den Nachruf auf DalÕ in der ›FAZ‹ gelesen habe? Ja, dieser sei schon ein Exzentriker gewesen, ihm würde ja auch nachgerufen, er sei ein Exzentriker, aber dabei sei er der normalste Mensch. Man würfe ihm vor, er habe Skandale angezettelt. Thomas Bernhard hatte schon gelesen, was auch ich im Flugzeug las: in der ›SZ‹ vom Tage sagte Tadeusz Rozewicz: ›Ich mache keine Skandale wie zum Beispiel Thomas Bernhard. Davon halte ich nichts.‹ Man werfe ihm Skandale vor, aber dabei läge er ja in Gmunden in seiner Wohnung und sei nicht mehr fähig, auszugehen. Natürlich habe er selber alle Fehler gemacht, seine Gesundheit beschädigt. So etwa, als er im Flughafen in MÄlaga Max Frisch getroffen habe: damals, Ende Dezember 1988, seien alle Maschinen wegen Streik ausgefallen, nur die Swiss Air sei geflogen. Frisch habe sehr komisch ausgesehen, gekleidet wie ein Typ zwischen einem Clochard und einem gestrandeten Fischer; er trug einen schweren Korb, wahrscheinlich mit Weinflaschen, und Bernhard wollte ihm helfen, diesen Korb zu tragen, ahnte aber nicht, wie schwer er sei. Das sei ihm übel ausgegangen, aber Frisch habe einfach furchtbar ausgesehen, nicht als ein Mann, der von einem Sanatorium käme, sondern in ein Sanatorium müsse. Im übrigen habe Frisch ihn gefragt, er habe während des Aufenthaltes die ersten Seiten von ›Heldenplatz‹ gelesen, wann die Uraufführung dieses Stückes sei? Wer nahm hier wen auf den Arm?
Nach den ersten zehn Minuten gingen wir an einen anderen Ort im Hotel, und er kam ›zum Punkt‹. Er übergab mir den Vertrag, den er mit dem Residenz Verlag am 13. Dezember 1988 in Torremolinos abgeschlossen hat. (Es ist anzunehmen, daß Dr. Jochen Jung nach Torremolinos kam, denn ausdrücklich ist eingangs, in der Mitte und am Schluß Torremolinos erwähnt.) Der Vertrag ist in jeder Zeile ein Unikum. Er übergab dem Residenz Verlag sein Werk ›In der Höhe. Rettungsversuch, Unsinn‹ ›in einer einmaligen, vom Autor in ganz bestimmter gewünschter Form und in unbeschränkter Auflage‹. Fremdsprachige Ausgaben darf der Residenz Verlag abschließen. Außer diesen beiden Rechten hat er kein anderes Recht. ›Der Autor verzichtet ausdrücklich auf sämtliche finanziellen Einnahmen aus diesen beiden einmaligen Rechten und bestimmt, daß aus diesen Einnahmen keine wie immer gearteten Spenden oder Zuwendungen an Personen oder Institutionen geleistet werden dürfen.‹
Am 13. Juni 1990 fallen die Rechte zurück.
Ich habe Bernhard erklärt, daß der Vertrag zwar eine Eindeutigkeit habe, aber vieldeutig auszulegen sei, denn zumindest theoretisch kann der Residenz Verlag in dieser einmaligen unbeschränkten Auflage 100 000 Exemplare drucken und sie ewig ›ausverkaufen‹. Aber das war nicht das Entscheidende, warum habe er nicht in den Vertrag die Bedingung aufgenommen, daß damit auch die Rechte der anderen fünf Residenz-Titel zurückfallen sollten? Das wollte er nicht hören, und so kam sogleich eine mißliche Stimmung auf. Er verstünde meine Reaktion nicht, irgendwie müsse ich in der Lage sein, die Rechte dem Residenz Verlag abzukaufen. Ich habe ihm erklärt, daß aufgrund dieses neuen Vertrages solches kaum mehr möglich sei.
Aber man merkte ihm auch an, daß ihn dies im Hinblick auf seine persönliche Situation nicht mehr, zumindest nicht mehr vordringlich interessierte. Das sei meine Sache, und in Zukunft würde sich das regeln. Und dann
Weitere Kostenlose Bücher