Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld
nicht kenne. Das war nun 30 km entfernt und steht wirklich an einem Ort, wo Fuchs und Has’ sich gute Nacht sagen. Eine unheimliche Stille, ein Haus, von dem aus man nur Wald, Wiese und Feld sieht. Als wir uns danach verabschieden wollten, bestand er darauf, daß wir mit seinem Bruder zu Abend essen sollten, und auch hier wieder derselbe Vorgang: wir wollten uns bald verabschieden, er aber bestand auf längerem Bleiben.
Es war ein sehr herzliches Gespräch, das wir führten. Wir verabredeten uns für Zürich, beschlossen, Frau Maleta als Repräsentantin des Verkaufs des ›Evangeliars‹ in Österreich einzusetzen, er ließ sehr herzlich Burgel Zeeh grüßen, bedauerte nochmals, das Telefon am Morgen nicht abgenommen zu haben, aber er erwartete ja furchtbare Anrufe. Kurzum, es war ein lebhafter, aufgeschlossener, freundschaftlicher Thomas Bernhard.«
2 S. U. zitiert aus einem Brief von Jochen Jung an ihn vom 29. Dezember 1987.
[521; Anschrift: Wien]
Frankfurt am Main
14. Oktober 1988
Lieber Thomas Bernhard,
anbei der Vertrag für »Heldenplatz«. 1 Die vorangegangenen Verträge waren kürzer, weil sie immer die Bedingung enthielten: »im übrigen beziehen wir uns auf die ½½ der Verträge z. B. ›Midland in Stilfs‹«. Ich habe nun diese Bedingungen aus »Midland in Stilfs« ausdrücklich noch einmal aufgeführt, denn wir müssen dem Anwalt klar nachweisen können, daß wir die Vorabdruckrechte gewissermaßen für jede Fassung haben. Deswegen also der ausführlichere Vertrag. Die Formulierungen entsprechen exakt denen der vorangegangenen Verträge, hier ist kein Wort neu eingefügt. Aber ich wollte doch alles in einem Vertrag haben, damit wir den Anwalt überzeugen können und ggf. mit diesem Vertrag auch vor Gericht gehen können.
Ich habe, die einzige Ungereimtheit, als Datum 28. Januar 1988 eingesetzt, das war ja das Datum, an dem sozusagen das Stück hier nach Frankfurt kam, und ich glaube, es ist gut zu wissen, daß der Text sozusagen schon lange vorliegt.
Mir bleibt, Ihnen alles Gute zu wünschen, am besten wäre es wirklich, Sie zögen diesem Stadttrubel einen Aufenthalt auf dem Land vor! Ich denke an Sie und grüße Sie herzlich —
Ihr
Siegfried Unseld
Bitte unterschreiben Sie …
1 In der Chronik hält S. U. unter dem Datum des 21. Januar 1988 fest:
»Am Nachmittag lese ich das neue Stück von Thomas Bernhard, ›Heldenplatz‹. Am 15. März 1938 fand der ›Anschluß‹ Österreichs an Deutschland statt. Auf dem Heldenplatz jubelten die Massen Adolf Hitler zu. Thomas Bernhard geht davon aus: eine jüdische Familie wohnt am Heldenplatz, der Mann, ein Professor der Philosophie, hat sich aus dem Fenster gestürzt, seine Frau hört immer noch die Massen rufen. Mehr ist eigentlich an ›action‹ nicht da. Thomas Bernhard benützt den Vorgang, um zu sagen: es gibt heute ebenso viele Antisemiten und Nazis wie damals, aus allen Löchern kriechen sie. Und dann seine Suada gegen Politiker, Kirchenleute, Geschäftsleute, alles Schweine. Ich werde mit Bernhard reden müssen. Wenn wir das vor der Aufführung durch Peymann, die im September geplant ist, veröffentlichen, kann Peymann das nicht mehr machen.«
Im April 1988 kommt Th. B. nach Frankfurt, u. a., um mit S. U. und Raimund Fellinger Korrekturvorschläge für Heldenplatz zu besprechen. In der Chronik von S. U. heißt es unter dem Datum des 21. April 1988:
»Nachmittags Thomas Bernhard. Burgel Zeeh hatte ihn am Flughafen abgeholt und in die Klettenbergstraße gebracht. Wir unterhalten uns eine halbe Stunde in sehr einseitiger Weise. Er nimmt DM 100.000.—, ordnet eine Überweisung in derselben Höhe für Mai an (sein Kontostand beläuft sich ja auf DM 374.000.—). Unwillig unterschreibt er Verträge für BS und IB, und dann wollte ich ins Detail seines Stückes ›Heldenplatz‹ gehen. Ich mußte ihm sagen, daß er manchmal eine Tatsache behauptet, die er nicht beweisen kann. Soweit er im Allgemeinen bleibt, mag das angehen (Graz, das Nazinest; Österreich, der ›gemeingefährlichste aller europäischen Staaten … wo die Schweinerei oberstes Gebot ist‹ (35); Gewerkschaftsführer in skrupellosen Bankgeschäften (102)). Das mag angehen, aber was eben nicht angeht: der Direktor der Nationalbibliothek, ›dieser schauerliche Idiot‹ (66). ›Der Bundespräsident ist ein Lügner‹ (102); ›ein noch immer mit dem Analphabetismus ringender Bundeskanzler‹ (124). Bernhard wollte sich auf keine Diskussion
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